Sonnenlaeufer
seine Mätresse waren vom Oberdeck herabgestiegen, gefolgt von seinen Töchtern. Die Barke glitt sanft ans Dock, Trompeter schmetterten eine Fanfare, und als Antwort ertönte ein Trommelwirbel von acht jungen Männern in der leuchtend rot-gelben Tracht des Stadtkommandanten von Waes. Sioneds Begleiter drängte sich bis in die erste Reihe der Menge am Ufer durch, und noch einmal ließ sie ihren Blick über die Köpfe wandern. Noch immer war von Rohan nichts zu sehen. Sicher war es unklug, zum Empfang des Fürsten zu spät zu erscheinen – und noch schlimmer, überhaupt nicht zu kommen. Sie bekam es langsam mit der Angst, denn sie sah keinen Grund, warum er Roelstra auf diese Weise beleidigte.
Beim ersten Schritt, den Roelstra auf die Holzplanken tat, sank jeder Hochwohlgeborene auf ein Knie – alle, außer Lady Andrade, die nur den Kopf neigte. Er bedeutete ihnen mit einer graziösen Geste, sie sollten sich erheben. Einige von ihnen zeigten respektvolle Mienen, andere wirkten abgestoßen von diesem Akt der Ehrenbezeigung. Lord Chaynals helle, graue Augen verrieten keinerlei Gefühl, aber Prinzessin Tobin sah in ihrem Gewand – weiß und rot, entsprechend den Farben ihres Gemahls – aus, wie aus Eis geschnitzt. Roelstra lächelte in die Runde und wandte sich dann Andrade zu.
Diese lächelte giftig, was selbst auf diese Entfernung zu sehen war, als Roelstra ihr seine Mätresse vorstellte. Sioned und Cami wechselten ein Grinsen. »Ich würde viel darum geben, zuhören zu können«, flüsterte sie, und ihr Begleiter kicherte.
Eine Bewegung an den Stufen zum Pier ließ alle Köpfe herumfahren. »Platz da! Macht Platz !«, bellte ein Mann. »Tretet beiseite für Seine Königliche Hoheit Prinz Rohan!«
Sioned schlug sich eine Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken – nicht, dass irgendjemand sie in dem plötzlichen Summen aus Spekulation und Wut vernommen hätte, das auf diese arrogante Ankündigung von Rohans Ankunft folgte. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, zupfte dabei an den Manschetten seines Hemdes und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, als hätte er sich so hastig angekleidet, dass ihm keine Zeit zum Kämmen geblieben war. Es war eine meisterhafte Vorstellung, stellte Sioned fröhlich fest. Er war sicher absichtlich so spät gekommen, damit er sein Knie nicht vor dem Hoheprinzen beugen musste.
Andrade war zu demselben Schluss gelangt, wenn es ihr auch besser gelang, ihre Belustigung zu verbergen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Tobin, deren Wangen gerötet waren und deren schwarze Augen vor Vergnügen funkelten. Chaynal verbarg sein Grinsen vorsichtshalber hinter einem Hustenanfall, der es erforderlich machte, dass er den unteren Teil seines Gesichtes hinter einer Hand verbarg. Seine Quecksilberaugen tanzten fröhlich, als Rohan sich so knapp vor Roelstra verbeugte, wie es unter Prinzen gerade noch höflich war.
Atemlos erklärte der junge Mann dann: »Verzeiht mir, Vetter! Ausgerechnet heute habe ich verschlafen! Ich habe von all dem Tun und Treiben nichts gehört, könnt Ihr Euch das vorstellen? Warum habt Ihr mir nicht Bescheid gegeben, Tante?«, wandte er sich vorwurfsvoll an Andrade, die Augen aufgerissen wie ein kleiner Junge. »Der Hoheprinz muss mich für einen vollkommenen Wirrkopf halten!«
»Aber überhaupt nicht, Vetter«, beruhigte ihn Roelstra aalglatt. »Ich weiß doch, dass ein gesunder, junger Mann ausreichend Schlaf benötigt.«
Rohan schenkte ihm sein bezauberndstes Lächeln. »Mein Vater hat immer gesagt, Eure Großzügigkeit wäre schon fast ein Fehler – und ich bin froh, dass Ihr nun mit meinem Fehler großzügig seid!« Sein Blick wanderte zu der Frau hinter Roelstra, und seine Augen wurden noch größer und runder. Andrade wäre fast erstickt. Die Anstrengung, nicht zu lachen, trieb Tränen in ihre Augen.
»Ist alles in Ordnung, Tante?«, erkundigte sich Rohan liebenswürdig, ohne das geringste Anzeichen von boshafter Freude im Blick. Als sie nur hilflos nickte, wandte er sich wieder Roelstra zu. »Ich weiß, es ist unhöflich zu starren, aber …« Er zuckte mit den Schultern, seufzte und starrte weiter.
»Ich war es, der nicht höflich war. Ich habe vergessen, Euch mit meinen Töchtern bekannt zu machen. Tretet vor«, bellte Roelstra über die Schulter.
Sie wurden vorgestellt: Naydra, Lenala, Pandsala und Ianthe als Prinzessinnen, Gevina und Rusalka mit ihrem Titel: Lady. Rohan beugte sich über sechs schmale Hände und drückte seine Lippen auf die
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