Sonnenlaeufer
vor.
Sioned warf ihr einen Seitenblick zu, ging dann zu Rohan und küsste seine Lippen. Das Feuer flammte zwischen ihnen auf. Sie wagte nicht, die Arme um ihn zu legen, und wusste, dass er sich aus demselben Grund zurückhielt. Sie kannten jetzt den Körper des anderen und hatten die Ekstase kennengelernt. Als sie von ihm zurücktrat, zitterten sie beide.
»O ja, das bist wirklich du«, murmelte er mit verschleiertem Blick. Dann schüttelte er sich und griff in seine Tasche. »Tobin, leg du sie ihr an. Ich würde sie fallen lassen.«
Innerhalb von Augenblicken sah sich Sioned von grünem Feuer umfunkelt. Sie konnte nichts anderes sehen als die Smaragde, die von einem ganz eigenen Leben erfüllt schienen. Ein schwarzer Schatten, gekrönt von goldenem Haar, trat hinter sie, und als er die Hände leicht auf ihre Schultern legte, trafen sich ihre Blicke im Spiegel.
»Nur etwas fehlt noch«, sagte Tobin und förderte zwei dünne Silberreife zutage, die hinten offen waren. Sie reichte beide Rohan, der überrascht blinzelte, ehe er lächelte und sie auf die Wange küsste.
»Zwei Dinge«, verbesserte er. »Aber am Ende doch nur eines«, fügte er rätselhaft hinzu. Sioned lächelte.
»Keiner von euch geht von hier fort, ehe Chay und ich wieder bei euch sind«, warnte Tobin. »Wo steckt er überhaupt?«
»Er ist fertig angekleidet und wartet auf dich«, antwortete Rohan abwesend und befingerte die Reife. »Sioned, geht es dir gut? Wirklich?«
»Wirklich«, erwiderte sie. Sie zwinkerte ihm im Spiegel zu, und er grinste.
»Jetzt bin ich absolut sicher, dass du es bist.«
Sorgfältig auf ihre kunstvollen Zöpfe achtend drückte er einen der Reife auf ihre Stirn. Dann reichte er ihr mit scheuem Lächeln den zweiten. Sioned biss sich auf die Lippe; dies war ihre Vision, und sie war endlich wahr geworden. Sie verlieh ihm das Zeichen der Königswürde und zupfte Strähnen goldenen Haares zurecht, so dass der Reif nur auf seiner Stirn sichtbar blinkte. Prinzessin in jeder Beziehung, außer durch die eigentliche Zeremonie, schaute sie ihrem Prinzen lange schweigend in die Augen, ohne jeglichen Zweifel, völlig in Frieden.
Andrade überließ es Urival, sich um Pandsala und das Baby zu kümmern. Sie fühlte sich sicher in dem Bewusstsein, dass Erstere nicht entfliehen konnte und der Säugling eine Amme hatte. Urivals Verzweiflung war schon fast komisch gewesen; Andrade bemitleidete ihn wegen eines unmöglichen Abends, den er allein mit einer verzweifelten Prinzessin, einem Neugeborenen und einem Mädchen verbringen musste, das nicht wegen seines Verstandes, sondern einzig wegen seiner Brüste ausgewählt worden war. Aber es gab niemanden sonst, dem sie es zugetraut hätte, Pandsala im Zaum zu halten. Das Mädchen hatte zwei Mal fortzulaufen versucht und war bis zu der äußersten Reihe von Rohans Zelten gelangt, ehe der Faradhi es eingeholt hatte, da die gewöhnlichen Wachen sich fürchteten, ihre groben Hände an die Tochter des Hoheprinzen zu legen. Urival kannte derartige Skrupel nicht. Andrade hoffte, dass er den Abend dazu nutzen würde, ihr ein paar Realitäten klarzumachen. Das Mädchen war im Kern nicht wirklich böse, dachte sie – im Gegensatz zu Ianthe, die so verdreht war, dass es an ein Wunder grenzte, dass ihre eigenen Eingeweide ihr nicht die Luft abdrückten.
Der niedrige Adel würde sein eigenes Fest feiern, so wie auch alle Bediensteten, abgesehen von Lord Jervis’ eigenen. Als Andrade ihr Zelt verließ, sog sie anerkennend den Duft von Rostbraten und Brot ein, das für die beiden anderen Bankette unten am Fluss vorbereitet wurde. Doch Jervis hatte den Hochzeitshügel als Ort für das Bankett des Letzten Tages ausgewählt, und als Andrade den Hang emporgestiegen war, sehnte sie sich nach einer Erfrischung. Sie wählte einen Kelch mit Fruchtsaft – unfermentiert, da sie noch immer gegen die Auswirkungen ihrer Übelkeit an Bord ankämpfte, die durch den Kummer über Crigos Tod noch verstärkt wurden. Sie erinnerte sich an ihn. Er war ein stolzer, ehrgeiziger Mann gewesen, sehr aufgeregt, weil ihm eine wichtige Aufgabe übertragen worden war. Ein fähiger Lichtläufer, der von Roelstra und seinem Dranath verdorben worden war.
»Seid gegrüßt, Herrin«, vernahm sie Prinz Lleyns Stimme an ihrer Seite und wandte sich um. »Erweist Ihr mir die Ehre, heute Abend neben mir zu sitzen, Andrade?«, fuhr er weniger formell fort. »Ich habe Dinge gehört, über die ich gern die Wahrheit wissen würde, wenn Ihr so
Weitere Kostenlose Bücher