Sonnenlaeufer
recht: Sie würden nur versuchen, sich gegenseitig auszutricksen. Ianthe wünschte jedoch, dass sie so sehr zusammenarbeiten sollten, wie ihr ehrgeiziges Wesen es ihnen erlaubte. Sie machte sich keine Illusionen darüber, denn sie kannte ihr besitzgieriges Wesen. Der vierjährige Ruval und der knapp dreijährige Marron kämpften bereits jetzt um fast alles, und selbst der einjährige Segev beobachtete die Kämpfe seiner Brüder mit großem Interesse.
Ihre Väter waren edle Männer von exzellenter Herkunft und spektakulärer Schönheit. Ianthe seufzte, als sie jetzt an sie dachte: Chelan mit den glühenden Augen und dem perfekten Körper, Evais’ unglaubliche Fantasie im Bett, Athils erotische Spielchen. Der arme Athil. Er war nicht wie die anderen mit Kleidern, Juwelen und Pferden zufrieden gewesen. Er hatte die Ehe mit der Lieblingstochter des Hoheprinzen gewünscht. Seine lichten Sonnenfarben hatten sie an Rohan erinnert, und es war ihr überraschend schwergefallen, seinen Tod zu befehlen, so ärgerlich seine Forderungen auch geworden waren. Wenigstens waren Chelan und Evais vernünftig gewesen und gegangen, als man es ihnen sagte. Die Vorstellung, dass sie, als sie noch in der Felsenburg lebte, jeden Einzelnen von ihnen gern geheiratet hätte, amüsierte sie jetzt. Die zurückliegenden Jahre, in denen sie in ihrer eigenen Burg absolut und autoritär geherrscht hatte, hatten sie gelehrt, dass die Ehe nichts für sie war.
Aber die Erinnerungen an die Nächte mit ihren Liebhabern erregten sie, und sie verfluchte den Plan, der sie zu anhaltender Keuschheit zwang. Ihre Spione in der Felsenburg berichteten ihr, dass ihr Vater sich mit allem amüsierte, was Röcke trug, aber es hatte keine Kinder mehr gegeben – nicht einmal Töchter. Ianthe kicherte, denn in den Berichten wurde auch angedeutet, dass Roelstra inzwischen impotent sei. Das geschah ihm recht.
Sein Brief schloss mit der Warnung, dass dies nun für lange Zeit das letzte Mal sei, dass sie miteinander kommunizierten. Ianthe spürte kein Bedauern. Sie verbrannte das Pergament und verließ ihre privaten Gemächer. Sie war eher froh, dass sie sich nicht die Mühe machen musste, eine Antwort aufzusetzen. Dabei wäre sie gezwungen gewesen, ihre Wut auf ihren Vater im Zaum zu halten, und das fiel ihr immer schwerer, je mehr Jahre verstrichen.
Ihre Frauen waren im Webzimmer bei der Arbeit. Der große Teppich mit den passenden Decken und Bettvorhängen war nahezu fertig, und Ianthe inspizierte das Werk mit wachsender Erregung. Der Teppich stellte verschiedene Szenen aus dem Paarungsritual der Drachen dar. Es waren faszinierende Bilder in leuchtenden, grellen Farben, die die Prinzessin selbst ausgewählt hatte. Eine Bahn zeigte Drachen, die im Sand kämpften, ihre Krallen leuchteten karmesinrot und orange, und Blut tropfte aus den aufgerissenen Fängen und den Rissen in ihrem Panzer. Diese Darstellung von Gewalt setzte sich in der nächsten Bahn fort, auf der zehn Weibchen, schwer unter ihrer Last aus Eiern, eine Klippe umkreisten, auf der sich ein Drache beim rituellen Tanz zur Schau stellte. Seine Männlichkeit wirkte fast obszön.
Die dritte Bahn zeigte einen Drachen und ein Drachenweibchen beim Akt selbst, die Säbelzähne entblößt, mit heraushängenden Zungen und Körpern, die sich sichtbar wanden. Goldfarbener Sand wirbelte in der heißen Dunkelheit der Höhle um sie auf. Die schreckliche Faszination, die von der Darstellung dieser Paarung ausging, ließ Ianthe lächeln.
Die letzte Bahn war fast fertig. Ungefähr die Hälfte war nur mit einem Faden skizziert und noch nicht ausgefüllt. Die Szene stellte Jungdrachen dar, die miteinander kämpften. Weiße Schuppen wetteiferten mit blauen, scharlachroten, bronze- und kupferfarbenen Panzern. Ein kräftiger junger Drache schlug seine Krallen in einen toten Bruder: bereit, ihn zu verschlingen. Aber in den Schatten wartete schon ein weiterer Jungdrache. Seine Augen glühten in lebhaftem Rot, während er das Gemetzel beobachtete und auf seine Chance wartete.
Die Kissen zeigten kleinere Darstellungen von Drachen bei der Paarung und kämpfenden Altdrachen, von Jungdrachen, die sich verschlangen, und von Flammen, die in den Schatten der Höhlen züngelten. Es handelte sich dabei um Entwürfe, die sie für den großen Wandteppich abgelehnt hatte. Die Bettvorhänge zeigten weitere Szenen wilder Paarung. Wenn sie sich um ein Bett schlossen, würden die reichbestickten Vorhänge eine kleine Höhle heftiger Erotik
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