Sonnenlaeufer
konnten; sie waren füreinander bestimmt. Andrade wusste es. »Ich möchte mich für meine Schärfe entschuldigen«, sagte sie. »Du hast recht – ich sollte wirklich nicht vergessen, wer du bist.«
»Nein, du hast dich ganz richtig verhalten. Ich kann wahrhaftig nicht hier oben sitzen bleiben und mich selbst bemitleiden. Aber es ist schrecklich, weißt du. Darauf zu warten, dass Vater stirbt. Angst zu haben, und das verstecken zu müssen. So – allein zu sein. Ich kann mit niemandem offen sein, außer mit dir. Verstehst du?«
Sie nickte und dachte daran, dass er an dem Tag, an dem er Sioned das alles eingestehen konnte, nicht mehr allein sein würde. »Geh jetzt nach unten, und schlafe ein wenig. Zehava wird noch einige Tage leben. Er ist zu stur, um sich so schnell dem Tod zu ergeben. Deine Mutter braucht dich sehr.«
Rohan lächelte traurig. »Niemand braucht mich wirklich, bis die Zeit gekommen ist, wo sie mich als Prinzen anerkennen. Und dann werden sie sogar noch mehr brauchen, als ich geben kann. Was ich ihnen zu bieten habe, wird ihnen wenig erscheinen – verglichen mit meinem Vater.«
Kapitel 3
Die höheren Gipfel des Veresch erstickten in Weiß und würden auch bis weit in den Sommer hinein davon bedeckt bleiben. Sie krönten die Berge oberhalb der Felsenburg. Die Burg selbst lag weiter unten in den Bergen, kauerte am Rande einer erschreckenden Schlucht wie ein Drache, der seine Klauen tief in die Klippen bohrt. Das Land zu beiden Seiten des Canyons, den der Faolain ausgehöhlt hatte, war sommergrün; dicht mit Bäumen bestanden und mit leuchtenden bunten Blumen übersät, erstreckte es sich unter einem Himmel, in den in der Ferne der höchste Gebirgszug mit seinen schneebedeckten Gipfeln ragte.
Neben ihrer eigenen Schönheit interessierte Lady Palila jedoch keine andere. Sie stand oberhalb des dichten Rasens auf den Stufen zum Garten und runzelte zornig die Stirn, weil die Gärtner ihren Lieblingsrosenstrauch gestutzt hatten, gerade den, dessen Blüten das Rosa ihrer Wangen spiegelten. Doch im selben Augenblick erinnerte sie sich daran, dass ungute Gefühle Falten verursachten, und so glättete sie ihr Gesicht wieder. Ihre Macht lag im Moment noch in ihrer Schönheit, und sie besaß sie im Überfluss. Es fing mit der Fülle ihres kastanienbraunen Haares an, das von einer dünnen Goldkette zurückgehalten wurde, die mit braunen Achaten in der Farbe ihrer Augen besetzt war. Ihre Haut hatte die Farbe hellen Honigs; ihre Knochen waren von einer Zartheit, von der die Bildhauer träumten und der sie in Silber, Bronze, Marmor und sogar in Gold Ehre erwiesen hatten; zart geschwungene Brauen und ein fein geschnittener, leidenschaftlicher Mund – Palila war die schönste Frau ihrer Generation, und daher war es nur angemessen, dass der Hoheprinz sie zu seiner Herrin erwählt hatte. Sie hatte sorgfältig darauf geachtet, dass die vier Schwangerschaften keine Spuren an ihrem perfekten Körper hinterlassen hatten, und ebenso wenig würde sie zulassen, dass dieses fünfte Kind – ein Knabe, endlich ein Knabe, summte sie innerlich – ihrem Körper seinen Stempel aufdrücken würde. Der Schnitt ihres Gewandes in dunklem Violett verbarg im Augenblick noch ihre runder werdende Taille. So heiß Roelstra auch einen Sohn begehrte, Schwangerschaft stieß ihn ab. Aber Palila wusste, dass sie immer wieder schwanger werden musste, bis sie ihm endlich seinen männlichen Erben schenken konnte. Danach würde sie nicht mehr seine Mätresse sein, sondern seine Ehefrau. Prinzessin. Gemahlin des Hoheprinzen .
Überall im Garten sah man an diesem Nachmittag Töchter des Hoheprinzen. Vier davon mit dem Titel »Prinzessin«, außerdem dreizehn andere Töchter, die sich durch den Titel »Lady« auszeichneten – siebzehn Mädchen, dachte sie voll Abscheu. Von sechs verschiedenen Frauen. Alles, was Roelstra zustande gebracht hatte, waren Mädchen und immer mehr Mädchen. Seine einzige angetraute Ehefrau, Lallante, hatte drei Knaben geboren, die alle schon nach wenigen Tagen gestorben waren. Nach dem Tode seiner Gemahlin hatte der Wunsch des Fürsten nach einem einzigen männlichen Nachkommen ihn in die Arme von fünf Mätressen getrieben – alle von hoher Geburt und jetzt alle tot, mit Ausnahme von Palila. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, um sicherzustellen, dass sie wirklich die Ausnahme blieb. Die Felsenburg barst regelrecht von Frauen, und dieser Überfluss zerrte an ihren Nerven. Sie hasste ihr eigenes Geschlecht schon aus
Weitere Kostenlose Bücher