Sonnenlaeufer
für jeden Windhauch, der blasen mochte. Sie umgaben den Raum in regelmäßigen Abständen, und jede einzelne krönte ein schlafender Drache, der in den Stein gehauen war. Rohan machte langsam einen Rundgang durch den Raum. Hin und wieder raufte eine leichte Brise, die nach Rauch roch, sein schweißnasses Haar.
»Von hier oben aus wird sein Tod verkündet werden«, murmelte er nachdenklich. »Sie werden das Feuer so hoch und heiß auflodern lassen, dass dieser Raum von den Flammen erfüllt wird. Man kann immer noch den Ruß sehen von damals, als mein Großvater starb und all die anderen Prinzen unserer Familie, bis dreihundert Jahre oder so zurück …« Er fuhr mit den Fingerspitzen an den Mauern entlang. »Und dann werde ich die Glut von hier nehmen, mit der ich seinen Scheiterhaufen entfache, und dieses Feuer, das seines war, wird gelöscht werden. Mutter und Tobin werden den Boden persönlich reinigen – hast du das gewusst? Eigentlich sollte das meine Gemahlin machen, aber ich habe keine Gemahlin. Ich werde dann hier herauf kommen und neue Flammen entzünden, die irgendwann zu meinem Scheiterhaufen werden.«
Die Schatten züngelten über sein Gesicht, während er sprach, ein stolzes, zurückhaltendes, nicht leicht zu durchschauendes Gesicht. Aber Andrade kannte ihn und hörte ihm still zu.
»Eines Tages wird mein Sohn für mich tun, was ich in ein paar Tagen für Vater tun muss. Und so wird es weitergehen, viele Generationen hindurch. Alles, was am Ende zurückbleibt, ist das.« Er hielt seine schwarzen Fingerspitzen hoch und lächelte. Ein freudloses Lächeln. »Himmel, welch morbider Gedanke!« Sein Gesicht wurde ernst, als er wisperte: »Warum muss er sterben?«
Es war der Aufschrei eines Knaben angesichts dessen, dass er den geliebten Vater verlor, aber es war auch ein Aufstöhnen aus Furcht. Auch für Andrade hatte es einen solchen Moment gegeben, vor mehr als zwanzig Jahren, als der Herr der Schule der Göttin gestorben war und man sie auserwählte, die Ringe an seiner Stelle zu tragen. Sie war damals sehr allein gewesen.
Aber für Rohan gab es jemanden, an den er sich in seiner Not würde wenden können. Sie fing seinen Blick auf und lenkte ihn nur mit der Kraft ihres mächtigen Willens auf die Flammen. Und dann streckte sie eine Hand nach dem Feuer aus und hauchte Sioneds Namen.
Rohan erstarrte. Sein Puls schlug schneller in seinem Hals. Ein Gesicht formte sich in den glühenden Flammen, ein bleiches Oval aus zarten Knochen und grünen Augen, eingerahmt von rotgoldenem Haar. Andrade hielt die Beschwörung einen Augenblick fest, ließ sie dann verblassen und sank müde auf ihren Stuhl.
»Wer ist das?«, flüsterte der junge Mann.
Andrade blieb stumm. Sie war so müde, dass es ihr fast gleichgültig war, ob er in sein eigenes Herz sehen konnte. Viel Zeit verging, bis er wieder sprach, und als er es tat, war sein Ton bewusst gleichgültig.
»Ich habe nicht mehr gesehen, dass du etwas beschworen hast, seit ich elf Jahre alt war. Damals hast du es getan, um ein Kind zu erfreuen. Ich glaube, heute wolltest du mir etwas versprechen. Welche Bedeutung wird sie für mich haben, Andrade?«
Wie sonderbar, dass er dasselbe Wort gewählt hatte wie Sioned: Versprechen.
»Du weißt es bereits.«
»Du möchtest also, dass ich eine Hexe der Lichtläufer heirate?«
»Erschreckt dich der Gedanke an eine Lichtläuferin wie mich, Junge?«, fuhr sie ihn an.
»Du erschreckst mich nicht, und deine Schüler ebenso wenig. Aber ich kann keine Faradhi- Frau heiraten.«
»Ist ihr Blut für dich nicht rein genug, Prinzchen?«
Rohans Lippen verzogen sich zu einem hochmütigen Lächeln, wie sie es nie zuvor an ihm gesehen hatte. »Lass uns erst einmal eines klarstellen: Ich bin weder ein ›Junge‹ noch ein ›Prinzchen‹. Ich respektiere dich als meine Tante und auf Grund deiner Stellung, aber vergiss nie, wer ich bin.«
Sie verneigte sich in einer ironischen Verbeugung. »Ich soll wohl auch vergessen, wem ich die Nase geputzt und die abgeschürften Knie verbunden habe.«
Ganz plötzlich lachte er. »O Göttin – das hab’ ich wohl verdient, was?« Er setzte sich, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Hände dazwischen. »Also schön, Andrade, reden wir wie vernünftige Leute über alles, nicht wie der arrogante Prinz und die Herrin der Schule der Göttin. Wenn ich heirate, dann brauche ich nicht nur eine Ehefrau, sondern ebenso eine Verbündete. Was gewinne ich aber, wenn ich eine von deinen
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