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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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anderen hatten immer gewusst, wer und was sie waren. Sie waren ehrlich in Bezug auf ihr Leben gewesen, hatten sich ihm gestellt und ohne Illusion gemordet.
    Roelstra kannte die Wahrheit. Er spielte jeden gegen jeden aus und sammelte die Vorteile für sich ein. Er herrschte durch List und Tücke und arbeitete immer auf Trennung hin, nicht auf Kooperation. Er setzte auf die niedrigeren Gefühle – Gier, Eifersucht, Feigheit – und lachte über den dummen, kleinen Prinzen, der in den Verstand der Menschen Ehrgefühl und in ihr Herz Frieden bringen wollte.
    An die Frau, die Rohans Überzeugungen geteilt hatte, deren Intelligenz und Glauben ihn gestärkt hatten, wagte er überhaupt nicht zu denken. Indem er sie verriet, hatte er alle und alles verraten, denn Roelstras Tochter hatte ihm gezeigt, was seine Wahrheit war. Er war genau wie der Hoheprinz, genau wie jeder Mann, der sich selbst wiedergeboren sehen wollte. Er sehnte sich nach einem Sohn. Das erste Mal mit Ianthe ließ sich ja vielleicht noch entschuldigen. Aber das zweite Mal, als er gewusst hatte, wer sie war und was sie von ihm wollte – das konnte er nicht rechtfertigen.
    O ja, er war genau wie alle anderen, all diese egoistischen, barbarischen Prinzen, die töteten und dann erst nachdachten. Aber wenngleich sein Verstand ihm befriedigende Szenen vorgaukelte, wie der Hoheprinz von seinem Schwert fiel – niemals beschwor Rohan Ianthe herauf. Er wusste sehr wohl, warum. Er würde sie nicht töten. Er konnte es nicht.
    Das Klappern von Hufen und Schwertern im Hof rief ihn zum Fenster. Rufe drangen zu seinem Gemach empor. Die schweren Bronzetore schwangen mit schrecklichem Stöhnen in ihren Steinangeln nach außen. Er konnte den Grund für den Aufruhr nicht erkennen, sondern sah nur die Wachen, die in den Haupthof einmarschierten.
    »Die Ringe!«, rief jemand. »Ohne die sind sie hilflos!« Es gab wieder einen Tumult, und dann krächzte einer der Soldaten triumphierend: »Ich hab’ sie! Faradhi -Ringe!«
    »O gütige Göttin, nein«, hauchte Rohan.
    Ianthe marschierte in einem Wirbel aus hellem Gewand und dunklem, fließendem Haar die Stufen hinab. »Ihr Idioten!«, schimpfte sie. »Ihr glaubt tatsächlich an dieses Ammenmärchen! Gib mir sofort diese Ringe! Und behaltet sie im Auge!«
    Der Mann hörte auf zu prahlen und näherte sich seiner Herrin. Er verbeugte sich unterwürfig, als er die Ringe in ihre Hand legte. Fackelschein fing das Funkeln von Gold, Silber und einem großen Smaragd ein, ehe Ianthe die Ringe fest mit der Faust umschloss. Sie machte eine Handbewegung, und die Wachen traten zurück, so dass auch er die aufrechte, schlanke Frau in Reitkleidung sehen konnte. Das rotgoldene Haar hing wirr um ihr Gesicht.
    »So, dann bist du also endlich gekommen, um dein Prinzchen zurückzufordern«, sagte Ianthe mit süßer Stimme. »Wie ergeben. Wie liebevoll. Ich hatte eine halbe Armee erwartet – aber du warst wohl alles, was sie erübrigen konnten. Eure Wüsten-Armeen sind anderswo beschäftigt, nicht wahr?«
    Ianthe drehte sich halb um und hob ihr Gesicht zu Rohans Fenster empor. Er duckte sich in den Schatten, denn er war nicht bereit, ihr die Befriedigung zu schenken, die sie angesichts seiner elenden Miene empfinden würde. »Hörst du mich, Rohan? Jetzt, wo die Merida im Norden und mein Vater im Süden angreifen, ist das hier alles, was sie für dich erübrigen können! Für ihren Prinzen!«
    Statt ihn vor Entsetzen erstarren zu lassen, brannte sich diese Information in seine Seele. Allmählich verstand er alles, und die Wut ließ ihn bis in die Knochen erzittern. Nur Sioned, nur seine Lichtläufer-Prinzessin – die diese Reise gewiss nicht angetreten hatte, um mit ihm zu sterben. Er kannte sie zu gut. Zum ersten Mal regte sich Hoffnung in ihm, und das alte Vertrauen stieg in ihm auf. Süßes Wasser für einen halb verdursteten Mann. Gemeinsam konnten er und sie alles erreichen.
    Aber da war Ianthe. Rohan starrte aus den Schatten auf Sioned hinab. Er sah ihr nach oben gerichtetes Gesicht und ihre Augen, die ihn suchten, aber nicht fanden.
    »Ianthe!«, rief sie, und die Prinzessin drehte sich auf den Stufen zum Schloss um. »Ich bin tatsächlich gekommen, um meinen Herrn und Gemahl zu holen – aber auch dich.« Und ganz plötzlich flackerte Lichtläufer-Feuer vor ihr auf, eine wirbelnde Flammensäule, halb so groß wie Feruche selbst. Und im Feuer erschien ein Drache, rot und golden schimmernd.
    Niemand schrie; die Kehlen zogen sich vor Entsetzen

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