Sonnenlaeufer
Tageslicht«, antwortete die Kriegerin. »Sieh dir die da unten an! Die schlagen ihr Lager direkt im Schatten von Stronghold auf! Arrogante Idioten. Tun gerade so, als ständen wir bereits unter ihrer Fuchtel.« Ihr Lächeln wurde boshaft. »Ich werde meinen Spaß haben.«
Sie gingen nach unten, und Tobin sagte: »Chay hätte das auch Spaß gemacht. Zufällig bin ich selbst kein schlechter Schütze, Maeta. Und links von den Toren gibt es eine hübsche kleine Nische, die wie für mich gemacht scheint.«
»Ich habe keine Angst vor diesem großen Stier, den Ihr Euren Ehemann nennt, wenn Ihr das andeuten wollt. Er kann mich dafür, dass ich Euch am Kampf teilnehmen lasse, anschreien, so viel er will. Der Platz gehört Euch, zusammen mit so vielen Merida, wie Ihr erlegen könnt.« Sie kicherte. »Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Mutter Euch Schießunterricht erteilt hat.«
Der Unterricht von Myrdal allein schien schon Empfehlung genug. »Ich werde einen Bogen mit dem richtigen Gewicht finden und vor dem Morgengrauen bereit sein.«
»Was ist mit Euren Söhnen? Ihr könnt sie nicht in ihre Zimmer sperren, das wisst Ihr doch. Würdet Ihr zulassen, dass sie uns mit Pfeilen versorgen? Wenn ich ihnen den ersten Ring zuteile, dann sind sie die ganze Zeit sicher im innersten Hof aufgehoben.«
»Danke. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie ich sie da heraushalten soll, und wenn wir es so machen, dann sind sie nützlich, ohne in Gefahr zu sein.«
Lange vor Sonnenaufgang war Stronghold bereit – und absolut still. Tobin, in einer Reitkleidung, die mit den Steinen um sie her verschmolz, zwängte sich in einen schmalen Spalt, der extra zu diesem Zweck in die Außenmauer des Torhäuschens gehauen worden war. In einem Köcher auf ihrem Rücken und einem zweiten zu ihren Füßen befanden sich Pfeile. Sie hatte die ganze Nacht damit zugebracht, sie in den Farben ihres Gemahls neu anzumalen, in Rot und Weiß. An den blauen Federn ließ sich nichts ändern, aber sie wollte, dass die Merida wussten, dass auch Radzyn hier vertreten war. Wenn ihre fünfzig Pfeile verbraucht waren, wollte sie diejenigen benutzen, die in Rohans Waffenkammer lagerten. Aber mit nur einhundert Merida da draußen und zwanzig von Myrdal ausgebildeten Bogenschützen, die Stronghold verteidigten, hatte Tobin das Gefühl, dass es sicher lange, ehe sie keine rot-weißen Pfeile mehr hatte, keine Ziele mehr geben würde. Der Kampf um Stronghold begann, als ein behelmter Merida den Canyon entlang auf die Tunnelöffnung zuritt. Er zügelte sein Pferd und hob die Hand in einer pompösen Geste, die Tobin fast zum Lachen gebracht hätte. Dieser Wunsch verstärkte sich noch, als der Mann mit tönender Stimme – die ihm zweifellos diese Mission eingebracht hatte – rief:
»Bewohner von Stronghold! Ergebt euch jetzt, und lebt! Ihr könnt nicht hoffen, im Kampf gegen uns zu überleben, und es gibt für euch keine Hoffnung von Norden oder Süden! Öffnet den rechtmäßigen Herrschern der Wüste die Tore!«
Weil sie darauf wartete, konnte Tobin das leise Zischen eines Pfeiles hören und war in der Lage, seinen Flug zu verfolgen. Er bohrte sich einen Fingerbreit vom Schenkel des Mannes entfernt in den Sattel und zitterte leicht. Zu seinen Gunsten muss gesagt werden, dass der Merida nicht zusammenzuckte. Aber er ritt nahezu hastig zurück.
Es folgte eine kurze Zeit des Wartens, in der die Sonne am östlichen Himmel über der Wüste aufstieg und sich die Schatten verlagerten und schärfer wurden. Tobin fing an, sich nach der kühlen Meeresbrise von Radzyn zu sehnen. Der Lärm von Pferden auf der Straße ließ sie den Schweiß vergessen, der ihre Tunika an ihre Haut klebte, und sie bereitete sich darauf vor, den Bogen zu spannen.
Unglücklicherweise waren die Merida nicht solche Narren, wie Maeta gehofft hatte. Nicht nur die Soldaten, auch ihre Pferde waren durch Lederrüstungen geschützt, die mit Bronzeplatten besetzt waren. Die Verzögerung hatte es gegeben, weil sie diese Rüstungen angelegt hatten. Tobin sagte sich wütend, dass Rohans Gold zweifellos diesen Weg genommen hatte und die Handwerker in Cunaxa zu ihrem großen Vorteil hart gearbeitet hatten. Sie nahm sich fest vor, die Merida heute nicht gewinnen zu lassen.
Sie zählte sechs Reihen mit jeweils sechs Reitern. Die Pferde standen Schulter an Schulter von einer Wand der Schlucht bis zur anderen. Wenn das erste stürzte, würden die anderen in der Enge behindert werden. Aber das Signal für den ersten
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