Sonnenlaeufer
Körper, den Tobin mit ihren Armen umfing, bestand nur noch aus Haut und Knochen.
»Ich schaffe es«, erklärte sie Myrdal. »Sie kann nicht mehr wiegen als ich selbst. Sioned, komm jetzt mit mir, Liebe. Es ist alles in Ordnung. Du bist daheim.«
»Tobin?«
»Ja, ich bin es. Du bist in Sicherheit. Du bist in Stronghold. Halt dich an mir fest.« Sie murmelte weiter beruhigende Worte, während sie sich langsam ihren Weg ins Schloss suchten. Die Kühle im Haus belebte Sioned ein wenig, und sie konnte sich auf den Beinen halten, als Tobin ihr die Treppe hinaufhalf.
»Wo ist Rohan?«
»Fort, um sich Ostvel und den anderen Truppen anzuschließen, die von Remagev kommen.« Zumindest hoffte sie das, aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen.
Sioned nickte langsam. »Ich habe ihm Maetas Plan erklärt. Der Narr. Er wird die Schlacht anführen wollen.«
»Wir sind fast da. Nur noch diesen Gang entlang, dann kannst du dich ausruhen.«
Tobin bugsierte Sioned auf das große Bett und zog ihr die zerrissenen Kleider aus. Das Hemd musste einmal ein wunderschönes Kleidungsstück gewesen sein, aus feinem Stoff und von zarten, violetten Bändern durchzogen. Als Tobin die Farbe sah, verkrampften sich ihre Kiefer. Sie holte ein Becken mit Wasser aus dem Nebenzimmer, nahm ein weiches Tuch und fing an, Sioneds Füße zu waschen.
»Wir mussten laufen, weißt du«, erzählte die jüngere Frau mit klarer, farbloser Stimme. »Die Drachen haben schon am ersten Tag die Pferde verjagt. Wir konnten auch nicht in Skybowl bleiben. Die Merida hatten dort Männer zurückgelassen, die nach uns Ausschau hielten. Ach, Tobin, das tut so gut. Danke.«
Tobin riss ein Kopfkissen in Streifen und verband damit Sioneds blasenübersäte Füße. »Psst. Sei jetzt ruhig, und ruh dich aus.«
»Ich frage mich, ob ich irgendeinen von ihnen mit dem Feuer getötet habe«, fuhr Sioned mit dieser merkwürdigen Stimme fort. »Andrade würde das nicht gutheißen. Aber es wäre nicht zum ersten Mal – und nicht zum letzten.« Sie starrte zu Tobin empor. Ihre grünen Augen waren glasig. »Ich bin eine Faradhi und eine Prinzessin. Was kann sie denn sonst von mir erwarten?«
»Sie hat den Lichtläufern befohlen, uns gegen Roelstra zu unterstützen.«
Sioneds aufgeplatzte Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Tobin, das hat sie eigentlich schon in dem Augenblick getan, als sie mir befahl, nach Stronghold zu kommen.«
Tobin war damit fertig, Sioned zu waschen. Später würde sie diese verbrannte, pergamentartige Haut einsalben und würde sie in mit Kräutern getränkte Tücher hüllen. Aber jetzt war Schlaf am wichtigsten. Sie strich das lange, zerzauste rote Haar zurück und küsste Sioned zärtlich auf die Stirn. »Schlaf jetzt, meine Liebe. Du bist daheim.«
»Tobin …« Sioneds Stimme war verträumt, und ihre Lider schlossen sich langsam. »Du musst es allen erzählen … es wird einen Sohn geben.«
Die Merida, die durch die Schlucht zurückgaloppierten, rasten geradewegs in eine andere Schlacht. Ostvels Streitkräfte waren aus Remagev gekommen. Sie waren die ganze Nacht marschiert, nachdem Reiter, die in den Hügeln rund um Stronghold versteckt gewesen waren, von der Ankunft der Merida berichtet hatten. Ostvels Truppe schwärmte im Halbkreis aus und war gerade dabei, ihre Reihen zusammenzuziehen, als Rohan und ein paar andere, die auf Merida-Pferde gesprungen waren, in Sichtweite kamen. Der Anblick des Prinzen sorgte dafür, dass zwei Gruppen von beiden Seiten des Bogens sich vereinten, um die Merida von hinten anzugreifen. Zur Mittagszeit war alles vorüber.
Den zehn Merida, die noch immer im Sattel saßen, wurden ihre Pferde und ihre Rüstung genommen, nicht aber ihr Leben. Rohan saß auf seinem Pferd, das geborgte Schwert über den Schenkeln, und sah zu, wie die zehn Merida ihre Toten und Verwundeten von den Sätteln in den Sand zerrten. Ihm war übel vor Erschöpfung nach dem Kampf, und er hatte keine Ahnung, was ihn aufrecht hielt. Aber dennoch blieb er dort, mit Ostvel an seiner Seite. Als alle Merida versorgt waren, ließ Rohan die Überlebenden vor sich antreten.
»Ich werde euer Leben schonen«, erklärte er ihnen. »Denn ich wünsche, dass ihr eine Nachricht überbringt. Das macht es erforderlich, dass ihr die rechte Hand eines jeden eurer Kameraden abtrennt – tot oder lebendig.«
Ostvel hielt den Atem an. Rohan war das völlig egal. Als der grausige Befehl durchgeführt worden war und man den
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