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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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von Skybowls Krater, als die letzten Schatten mit der mondlosen Nacht verschmolzen. Das Baby lag still und schläfrig auf einer blau-goldenen Decke, den Bauch voll mit Ziegenmilch. Es hatte keine Ahnung, welchen Wirbel es verursacht hatte.
    Skybowl war fast so leer wie Stronghold. Diejenigen, die nach Tiglath gezogen waren, um zu kämpfen, waren noch nicht zurückgekehrt, und die wenigen, die geblieben waren, akzeptierten das Kind ohne weiteres als das von Sioned. Tobin hatte nichts anderes erwartet. Nachdem sie so lange über das Gold geschwiegen hatten, würden sie auch dieses neue Geheimnis nicht verraten.
    Tobin kniete zur Linken von Sioned, Ostvel zu ihrer Rechten. Die vierte Position, die eigentlich Rohan hätte einnehmen sollen, hatten sie offen gelassen für die Wüste unterhalb der Klippe.
    Das Kind wimmerte verschlafen. Sein Körper war im Dämmerlicht bleich und perfekt und so winzig, verglichen mit der Leere der Wüste und der Unendlichkeit der aufgehenden Sterne.
    »Kind«, wisperte Sioned schließlich und begann mit dem Ritual, »du bist ein Teil dieser Welt. WASSER wird deinen Durst löschen, LUFT wird deine Lungen füllen. Die ERDE wird deine Schritte lenken, und das FEUER wird dich in der Kälte des Winters wärmen. Sie alle gehören dir kraft deiner Geburt. Es ist das Recht jedes Sohnes und jeder Tochter, die geboren werden.«
    Als Sioned eine kurze Pause machte, erinnerte sich Tobin an andere Namensgebungen. Sie dachte daran, wie das sanfte Ritual über Maarken und Jahni, über Andry und Sorin gesprochen worden war. Ostvel hatte die Finger auf den Knien verkrampft, und sie wusste, dass auch er sich an die Nacht erinnerte, als Sioned und Rohan dabei gewesen waren, als Camigwen dem kleinen Riyan seinen Namen gegeben hatte.
    »Aber du bist ein Prinz«, fuhr Sioned mit gesenkter Stimme fort. Ostvel blickte auf. Er war angesichts dieser Abweichung von der uralten überlieferten Formel nicht weniger überrascht als Tobin. »Geboren als Glied einer langen Kette von Prinzen, Ahne von kommenden Generationen. Für dich hält diese Welt mehr bereit – und sie wird mehr von dir verlangen.«
    Sioned hob die Hände. Der Smaragdring funkelte, und eine sanfte Brise erhob sich von dem See hinter ihr. Mit der LUFT kam ein Nebel aus WASSER und winzigen Partikeln aus ERDE . Tobin spürte, was Ostvel nicht konnte: dass zarte Fäden aus Sternenlicht sorgfältig gesammelt wurden, fein und zart wie Spinnweben. Sie spürte, wie das bleiche FEUER in die Brise gewebt wurde. Der langsame Wirbel umhüllte sie, verdichtete sich allmählich über dem Baby und wurde dort zu einer leuchtenden Spirale.
    Tobin war hin- und hergerissen zwischen Staunen und Furcht. Die Faradhi’im benutzten den Schein von Sonne und Monden, nie aber das Licht der Sterne. Doch genau das tat Sioned jetzt. Sie zog Stränge von nahezu unsichtbarer Brillanz herab, um diese einzigartige Namensgebung für ihren Sohn zu kreieren.
    »Kind, im Namen deiner Verwandten Tobin, der Tochter von Zehava und Milar, Ehefrau von Chaynal, Mutter von Söhnen, gebe ich dir die LUFT , die der Seufzer des Vaters der Stürme in den Armen der Göttin ist. Möge sie sich erheben und deinen Schwingen zum Flug verhelfen, so stark wie die Frau, in deren Namen er gegeben ist.«
    Der Sternenschein wurde auf Tobin gerichtet, und der Kopf des Babys wandte sich ihr zu. Seine Augen waren riesig, als es zu seiner Tante emporstarrte. Tobin sah ihre eigenen Farben in dem wirbelnden Nebel funkeln, Bernstein und Amethyst und Saphir, und hielt den Atem an.
    Wieder sprach Sioned: »Kind, im Namen dieses Mannes, Ostvel, Sohn von Ostlach und Avina, Gemahl von Camigwen, Vater eines Sohnes, gebe ich dir WASSER , um deine Seele zu reinigen – denn seine Seele ist die reinste, die ich je kennengelernt habe.«
    Wieder machte sie dem wirbelnden Licht ein Zeichen. Diesmal schien es auf Ostvels verspannten Zügen, und weitere Farben wurden hinzugefügt – tiefes Granat, leuchtendes Rubin, schwarzer Onyx, den er nicht sehen konnte. Oder vielleicht doch, denn er begegnete ehrfürchtig Sioneds Blick, gefangen in dem Zauber, den sie aus dem verbotenen Sternenlicht gewebt hatte.
    »Kind, im Namen deines Vaters Rohan, Sohn von Zehava und Milar, gebe ich dir die ERDE – diesen Sand und Stein um dich her, diese Wüste, die du ebenso weise beherrschen wirst, wie er es tut, der sie dir übergeben hat. Dies ist sein Fleisch, wie es auch dein eigenes ist.« Und Farben, die Tobin nie zuvor erspürt hatte,

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