Sonnenlaeufer
Verstand gehorchte ihr nicht.
Sie hatte getötet. Absichtlich oder nicht, sie hatte ihre Macht eingesetzt, und Menschen waren gestorben – vor Jahren bei dem Rialla , jetzt in Feruche. Aber es war weder Andrades Vergebung, die sie brauchte, noch die von Ostvel oder Rohan, nicht einmal ihre eigene. Sie blickte auf ihren schlafenden Sohn hinab und flehte die Göttin an, dass sie in seinem Blick niemals Vorwürfe entdecken musste.
»Davvi! Hinter dir!« Rohan riss sein Pferd herum, um seinen Schwager zu verteidigen, und vergaß dabei seine eigene Rückendeckung. Er hackte ein Handgelenk ab, und der Speer, den die Hand hielt, fiel herab. Sekundenbruchteile, ehe die Waffe sich in Davvis Rücken gebohrt hätte. Ein flinker Soldat in Roelstras Violett machte einen Satz, schlitzte Rohans lederne Tunika entzwei und riss die alte Wunde an seiner rechten Schulter wieder auf. Er fluchte, wand sich im Sattel und lenkte Pashta mit den Absätzen. Die Hinterhufe schlugen aus und trafen den Schwertkämpfer im Bauch.
Tilal, dem aus einem Riss über dem Auge Blut über die Wange lief, schrie erschrocken auf, als Rohan schwankte. Davvi brüllte ihm zu, er solle den Prinzen aus der Gefahrenzone bringen. Rohan taumelte. Er war unfähig, sich selbst zu verteidigen, da jetzt sein rechter Arm taub wurde. Tilal beugte sich gefährlich weit hinüber, um Pashtas Zügel zu ergreifen. Er trieb sein eigenes Pferd zum Galopp an und ignorierte Rohans gemurmelte Ansicht über diesen Rückzug.
Als sie auf dem Hügel unter ein paar Bäumen in Sicherheit waren, sprang Tilal vom Pferd und rief nach einem Arzt. Rohan funkelte ihn wütend an, und der Knabe stammelte: »Herr – Ihr seid verletzt – es ist meine Pflicht …«
»Zum Teufel mit deiner Pflicht!«
»Halt den Mund«, ertönte ein vertrautes Knurren, und Chay, den Unterarm mit weißem Tuch umwickelt, streckte die unverletzte Hand aus und hievte Rohan aus dem Sattel. »Du lässt das versorgen, oder ich verbinde dich höchstpersönlich.«
Nach einem großen Kelch Wein und einer ziemlich rauen Behandlung musste Rohan mürrisch zugeben, dass Tilal und Chay recht gehabt hatten. Sein saurer Ton ließ Chay grinsen.
»Unser guter, großzügiger Prinz«, erklärte er dem jungen Knappen. »Mach dir wegen dieses Schnitts keine Gedanken, Tilal. Es wird keine Narbe bleiben, und du wirst keinen Deut von deinem guten Aussehen verlieren.«
Der Knabe errötete und zupfte an dem Verband, der um seine Stirn lag. »Es tut nicht einmal weh.«
»Nun, meines schon.« Chay deutete mit dem Finger auf seinen Arm. »Geschieht mir ganz recht. Warum habe ich nur Roelstras Ausfall nach Norden nicht vorausgesehen? Lass dir das eine Lehre sein, Tilal.« Er streckte sich und schüttelte den Kopf. »Ich werde langsam zu alt für diese Sachen. Aber trotzdem, es ist ein guter Kampf. Schade, dass du den Rest davon nicht miterleben wirst, Rohan.«
»Den Teufel werde ich!« Rohan bewegte die Schulter und unterdrückte ein Zucken. »Sobald die Salbe wirkt und ich mein Schwert wieder halten kann …«
»Ach ja? Hier – fang!« Chay warf ihm einen leeren Kelch zu und blinzelte überrascht, als Rohan ihn geschickt auffing. »Also schön, du hast gewonnen«, murmelte er.
»Noch nicht, aber es wird nicht mehr lange dauern.« Rohan ließ sich den Schmerz nicht anmerken, den ihm diese Bewegung bereitet hatte, und fuhr fort: »Im Norden sieht es gut für uns aus, trotz des Angriffs von Roelstra. Davvi hat die Neugruppierung in die Hand genommen, und wir werden sie umzingeln wie Drachenklauen. Aber sie fallen nicht so schnell, wie ich es gehofft hatte. Was nun, Taktiker?«
»Ich werde der Südflanke befehlen, sich ein wenig zurückzuziehen. Das sollte sie verwirren. Wir machen einen Bogen und greifen sie von hinten an.« Er schaute sich um, nahm einen langen Stock und skizzierte seinen Plan auf der Erde. »So ungefähr. Verstehst du?«
Rohan prägte sich den Plan ein und nickte. »Richtig, Tilal, mein Pferd!«
»Aber Eure Wunde, Herr …«
»Ich spüre überhaupt nichts«, log Rohan fröhlich. »Auf geht’s. Es ist schon spät am Nachmittag, und ich habe Roelstra noch immer nicht gesehen.«
»Gib mir ein Zeichen, wenn du ihn findest«, erinnerte Chay ihn.
»Mach ich. Weiß die Göttin, du bist leicht zu sehen.«
»Tobin findet mich darin unwiderstehlich«, informierte Chay ihn mit funkelnden Augen.
»Sie sollte dich am Ende dieses Tages lieber noch in einem Stück vorfinden!« Er erhob sich und drückte Chay die Hand.
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