Sonnenlaeufer
Burg Radzyn.«
Sie blickte in ein Paar bezwingender grauer Augen, die tief in einem sonnengebräunten Gesicht lagen. »Mylord«, grüßte sie mit etwas weniger formellem Nicken. Er war, so fand sie, außerordentlich gutaussehend. Sein Interesse an ihr war schon fast peinlich, und ein Winkel seines Mundes verzog sich zu einem kleinen, trockenen Lächeln.
»Ich fühle mich in der Tat geehrt, Mylady«, erklärte er und verneigte sich.
Sioned fiel plötzlich wieder ein, was die Sitte erforderte, und sie deutete auf die Freunde an ihrer Seite. »Darf ich Euch meine Begleiter vorstellen, Herr? Ostvel, zukünftiger Präfekt der Schule der Göttin, und die Lichtläuferin Camigwen. Auch die anderen hier sind meine Freunde.«
»Ich heiße Euch in meinem Land willkommen«, erklärte der Prinz, und Sioneds Körper wurde gefühllos. Sein Land, nicht das seines Vaters. Sie trugen Trauer wegen des alten Prinzen, und das bedeutete, dass sie nicht nur einen Erben ehelichen würde, sondern einen Herrscher. Er sprach noch immer, und sie konzentrierte sich verzweifelt auf seine Worte. »Es trifft sich glücklich, dass ich meine Angelegenheiten rechtzeitig regeln konnte, um Euch nach Stronghold zu geleiten. Lady Andrade wird erfreut sein, Euch wohlbehalten zu sehen.«
»Ich freue mich darauf, mit ihr zu reden«, hörte sich Sioned antworten.
Lord Chaynals Blick schien zu sagen: Darauf möchte ich wetten, und sein Mundwinkel zuckte noch ein wenig höher. Doch das Gesicht des Prinzen blieb ganz ruhig, als er sagte: »Mylady, würdet Ihr mir die Ehre eines kurzen Gesprächs unter vier Augen erweisen?«
Ehe sie antworten konnte, sprang er vom Pferd, und ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass sie sich von ihm aus dem Sattel heben lassen sollte. Seine Finger schlossen sich um ihre Taille, und sie errötete und hoffte, dass ihr Sonnenbrand die plötzliche Farbe überdecken würde. Wenn es ihr schon mit diversen Stoffschichten zwischen ihnen so erging, wie würde es dann erst sein, wenn sich Haut und Haut berührten? Sioned starrte auf ihre Stiefelspitzen, während sie gingen, und kämpfte um ihre Beherrschung, und als sie sich von den anderen entfernt hatten, riskierte sie einen Blick auf ihn. Ihre Augen waren auf einer Höhe mit seinen Lippen. Sie fragte sich, wie sein Lächeln wohl sein mochte und ließ ihren Blick hinab wandern, dorthin, wo sein Puls in seiner Kehle schlug. Als ihr klar wurde, dass er ebenso angespannt war wie sie, fühlte sich Sioned ein wenig wohler.
»Es sieht aus, als wären Eure Angelegenheiten gefährlich gewesen«, bemerkte sie mit erstaunlich beherrschter Stimme. »Es ist doch hoffentlich nicht Euer eigenes Blut?«
»Nein. Von einem Drachen. Er hat mich nur ein wenig verwundet.« Er sprach fast abwesend, den Blick auf die Hügel geheftet.
Sioned beschloss, den Mund zu halten, bis er ihr eine direkte Frage stellte. Noch viele Schritte musste sie über den weiß-goldenen Sand zurücklegen, ehe er stehenblieb, sich ihr zuwandte und eilig erklärte: »Ihr wisst, warum Ihr hier seid, und ich weiß es ebenfalls. Andrade erwartet, dass wir heiraten.«
»Andrade erwartet vieles«, antwortete Sioned.
»Weiter«, fuhr er fort, als hätte sie nichts gesagt, »erwartet sie, dass das bald geschieht. Aber das kann nicht sein. Noch nicht.« Er sah ihr in die Augen. Seine waren sehr blau, mit schwarzen Ringen um die Iris. »Bitte glaubt mir, wenn ich sage, dass ich Euch und keine andere Frau heiraten werde. Ich wusste es von dem Augenblick an, als Andrade Euer Gesicht im Feuer beschwor. Aber es gibt Dinge, die ich erledigen muss, bevor wir heiraten können. Einiges davon wird Euch möglicherweise verletzen, und das tut mir leid – aber mein Vater ist tot, und ich bin der herrschende Prinz. Was der Prinz jedoch tun muss, wird der Mann häufig bedauern.«
Sioned verschlug diese außergewöhnliche Rede die Sprache. Sie starrte ihn nur an.
»Ich muss allen zeigen, welche Art von Prinz ich zu sein beabsichtige«, fuhr er fort. »Ich werde Euch alles erklären, sobald wir Zeit dafür haben, und ich hoffe, Ihr seid eine Frau, die derartige Dinge verstehen kann. Falls nicht, werdet Ihr es lernen müssen«, schloss er grob. »Aber ich würde nicht so handeln, wenn es für unser gemeinsames Leben nicht notwendig wäre. Ich wünsche ein Leben in Frieden, nicht auf Messers Schneide. Versteht Ihr?«
Sie war noch immer unfähig zu sprechen, jetzt allerdings aus einem anderen Grund.
»Das Spiel fängt für uns an, wenn wir in
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