Sonnenlaeufer
standen – nicht den Höfen, denen sie dienten, waren sie treu ergeben, sondern der Schule der Göttin. Es war ihnen verboten zu kämpfen, außer um ihr eigenes Leben zu schützen, verboten, Stellung in einer Auseinandersetzung zu beziehen, und vor allem war es ihnen untersagt, ihre Macht einzusetzen, um zu töten. Mit Andrade als Herrin waren die Grenzen jedoch ein wenig verwischt worden, wenngleich sie sich auch bislang vollkommen unparteiisch erwiesen hatte. Sie hatte darauf gewartet, dass er erwachsen wurde, damit er eine Lichtläuferin heiraten konnte.
Aber Sioneds Loyalität musste ihm gelten, nicht Andrade. Er wollte sich nicht mit Zweifeln an seiner Fähigkeit quälen, ihren Geist für sich zu gewinnen, denn offenbar hatte er bereits ihren Körper und vielleicht auch ihr Herz gewonnen. Ein trauriges Lächeln kam über seine Lippen, als er begriff, dass sie beide vom Feuer versengt worden waren. Aber er benötigte eine Prinzessin, nicht nur eine Gemahlin.
Schon lange hatte er geahnt, dass Andrade die Verbindung zwischen seinen Eltern bewusst arrangiert hatte. Milar hatte Zehavas Reichtum dazu verwendet, sein Heim und ihr Leben zu verschönern, und hatte sein Ansehen und seine Macht vergrößert, indem sie seine Erfolge zur Schau stellte. Dies, so erkannte Rohan jetzt, war die Basis für seine eigene künftige Macht. Er war dankbar für das unermüdliche Werk seiner Mutter. Aber er brauchte nicht nur eine Frau, die sein Schloss führen konnte, seine Kinder bekommen und Teppiche bestellen würde. Er brauchte, was Chay in Tobin gefunden hatte: eine Frau, der er vertrauen und mit der er zusammenarbeiten konnte. Die ihn und seine Ziele verstand. Eine Faradhi -Prinzessin würde ihn wirklich zu einem sehr mächtigen Mann machen. Rohan musste zugeben, dass sein Plan, wie er seine eigenen Ziele erreichen würde, für die meisten wohl unverständlich sein würde. Er würde den unentschlossenen Prinzen spielen, wenn die Vasallen eintrafen, um ihm ihre Ehre zu bezeugen; im nächsten Frühjahr dann wollte er die Merida eine Weile bekämpfen, ehe er sie bestechen und als reiche Männer heimschicken würde, so dass sie seine Vernichtung planen konnten. Er wünschte ihnen angenehme Träume von der Eroberung Strongholds, denn im zweiten oder dritten Frühjahr von nun an würde er sich ihnen als wahrer Sohn des Drachen zeigen.
Was das Rialla anging – Rohan lächelte und strich mit den Fingern über die glatte, silbrige Rinde eines Baumes. Roelstra würde ihm eine Tochter anbieten. Und er würde so tun, als zöge er das in Erwägung. Der Hoheprinz würde die Angelegenheit noch mit Verträgen versüßen, mit Belohnungen, und Rohan würde dafür sorgen, dass sie verbindlich wären, nicht so wie die Versprechungen, die mit seinem Vater gestorben waren. Er würde Roelstra in einem wunderbaren Tanz führen, würde ihn wunderbare Verträge unterzeichnen lassen, und die ganze Zeit über würde er eine wundervolle Zeit haben und so tun, als müsse er unter den Prinzessinnen noch wählen. Und dann würde er Sioned heiraten.
Rohan ließ kühl die möglichen Reaktionen auf seine Ehe Revue passieren, ganz besonders auf seinen Entschluss, sich nicht mit einer von Roelstras Töchtern zu vermählen. Prinz Clutha von Meadowlord würde wahrscheinlich einen Herzanfall bekommen, sein Land war traditionsgemäß das Schlachtfeld zwischen der Prinzenmark und der Wüste. Der letzte Krieg hatte zu Zeiten von Rohans Großvater Zagroy stattgefunden, der Roelstras Vorfahren das Abkommen von Linse abgerungen hatte. In dem Vertrag war festgelegt worden, dass die Wüste so lange im Besitz seines Geschlechtes bleiben würde, wie der Sand Feuer spie. Wenn Roelstra wütend war – und ausreichend Unterstützung zusammentrommeln konnte, um »Rache« für seine zurückgewiesenen Töchter zu nehmen –, würde Clutha wohl verzweifelt versuchen, einen weiteren Krieg in seinem Land zu verhindern. Kurz gesagt, er würde Rohans Arbeit erledigen. Aber es gab noch einen anderen Ort, von dem aus Roelstra angreifen konnte: mit der Hilfe der Bewohner von Cunaxa und der Merida, die sie beherbergten. Sehnsüchtig dachte Rohan an Schloss Feruche, das am Bergpass gleich oberhalb der Wüste lag. Lange im Besitz der Merida, hatte Zehava es vor einigen Jahren Roelstra im Tausch für seine Unterstützung versprochen. Es war seinetwegen von Vorteil für den Hoheprinzen gewesen, Zehava in jenem letzten Feldzug gegen die Merida zu unterstützen, denn Feruche bewachte die
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