Sonnenlaeufer
dass ich …«
»… eine Hexe bin«, schloss er für sie. »Zu dem Schluss bin ich bereits gekommen, als ich dich im Feuer gesehen habe. Aber ich habe meine eigene Magie, weißt du. Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.«
Sie ging mit ihm tiefer in die Grotte hinein und auf die Klippen zu. Nach einem vorsichtigen Blick aus dem Augenwinkel meinte sie: »Du musst auch etwas von der Gabe haben. Schließlich ist deine Mutter Andrades Schwester.«
»Und das heißt?«
»Ach, nichts.«
Rohan wollte die Stirn runzeln, unterließ es aber. Sie wusste genauso gut wie er, dass Andrade wünschte, dass aus dieser Ehe Faradhi -Kinder hervorgingen. Warum vertraute sie ihm nicht genug, um das zu sagen? Er beschloss, ihr mehr von seinen eigenen Plänen zu erzählen – soviel er im Augenblick wagte –, und gestand sich ein, dass er ihr auch noch nicht völlig vertraute.
»Roelstra wird mich mit Abkommen und Verträgen ködern wollen, und ich habe vor, sie von ihm unterschreiben zu lassen, ehe wir über seine Töchter sprechen. Aber ich schwöre dir, Sioned, sobald ich mit diesem Spiel fertig bin, werde ich vor allen um dich anhalten.« Er blieb stehen und sagte: »Hier – das wollte ich dir zeigen, ehe das irgendjemand anderes tut.«
Die Bäume um den stillen Teich teilten sich und machten einem langen, bleichen Wasserfall Platz, der hoch über ihren Köpfen aus dem Nichts auftauchte. Moos und Farn ließen den rauen Fels weicher erscheinen, und der Mondschein verwandelte das Wasser in ein silbriges Band. Dies sicherte das Leben des Schlosses, dieses kostbare Wasser aus dem Norden. Es verlief unter der Erde, geschützt vor der Hitze, stürzte dann herab, um diese einzige Vertiefung im Felsen zu versorgen. Rohan schaute in Sioneds Augen und begriff plötzlich, was seine Ahnen gefühlt haben mussten, als sie das Geschenk dieses kühlen, süßen Wassers in der Wüste zum ersten Mal entdeckten.
Doch als sie den Mund öffnete, sprach sie nicht über das Wunder vor ihnen. »Macht es dir etwas aus, dass ich eine Faradhi bin?«, fragte sie leise.
»Nein«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Warum sollte es?«
»Es wird deinem Volk zu denken geben, weißt du. Eine Lichtläufer-Hexe, mit ihrem Prinzen verheiratet, die Herrin über all diesen Reichtum ist und ihm hilft, die Wüste zu regieren.«
»Du wirst sie ebenso schnell für dich gewinnen wie mich«, antwortete er ruhig.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte sich dann zum Wasser um. Sie hob die Hände, und das Mondlicht funkelte auf ihren Ringen, als sie die silbrigen Strahlen zu einer Beschwörung über dem Teich verwebte. Er sah sein eigenes Gesicht und auch ihres, und eine einzige rotgoldene Strähne, die die Reife bildeten, die ihre Kronen darstellten. Nach einem Moment verblasste die Beschwörung, und Sioned erwiderte seinen Blick erneut.
»Ich musste das tun, um mir selbst etwas zu beweisen. Ich habe auf dem Weg hierher die Kontrolle über eine Flammenbeschwörung verloren, und ich hatte Angst davor, es noch einmal zu versuchen. Aber nun habe ich keine Angst mehr, Rohan. Es ist zu früh, als dass ich dir vollkommen vertrauen könnte. Mein Verstand sagt mir das immer wieder, und ich muss darauf hören. Aber auf jede Weise, die wirklich zählt, vertraue ich dir dennoch.« Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Ich hätte das wohl nicht sagen sollen, und ich weiß, ich sollte das auch nicht tun, aber …«
Ihr Kuss auf seinem Mund war flüchtig und so überraschend wie ein heißer Blitz, der über den Wüstenhimmel zuckt. Doch noch ehe er die Hände nach ihr ausstrecken konnte, war sie fort.
Kapitel 7
Die Nachricht von Prinz Zehavas Tod erreichte die Felsenburg bei Tagesanbruch. Crigos Kontakt mit dem Kellermeister in Stronghold gab dem ohnehin schon überanstrengten Lichtläufer den Rest, und so ging er zu Bett, nachdem er einen großen Kelch Wein mit Dranath geleert hatte. Roelstra begrüßte die Neuigkeit mit lautem, anhaltendem Gelächter und einem ausgiebigen Frühstück. Danach zog er sich für den Rest des Tages mit seinen Ministern zurück. Es blieb Palila überlassen, das abendliche Ritual vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass alle Töchter sich ins Grau der Trauer kleideten, um ihrem königlichen »Vetter« Ehre zu erweisen. Was Palila anging, so hielt sie das für Unsinn und war zudem doppelt erzürnt, weil Grau ihr nicht stand. Doch man musste seine Trauer zeigen, und so tröstete sie sich mit dem Wissen, dass das schieferfarbene Gewand zumindest
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