Sonnenlaeufer
ihre Schwangerschaft verbarg.
Roelstra führte die Prozession in die Kapelle der Felsenburg, sobald sich die ersten Abendsterne zeigten. Der Raum bestand aus einem Halbkreis aus Fironeser Kristall, der wie eine gigantische Seifenblase aus den Klippen hervorragte. Bei Tage strömte Sonnenschein herein und tauchte alles in Gold, das auf Ornamenten und Platten funkelte. Stühle aus weißem Holz und mit Polstern von weißer Seide standen auf einem dicken, schneeweißen Wollteppich, der jegliches Geräusch schluckte. Vor diesem Hintergrund funkelten die bunten Fenster, versprühten Regenbogenfarben auf die Wände und schmückten den Boden mit leuchtenden Farben. Doch des Nachts schien nur der bleiche Mond, und die Kapelle war ein Ort der silbernen Schatten. Farblose Gesichter zeigten Augen und Münder in dunklen Höhlen, überirdisch betont durch die weißen Kerzen, die jeder Trauernde trug.
Nach den strengen Regeln der Vorschrift traten sie ein und nahmen ihre Plätze ein. Palila saß mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen in der ersten Reihe, die Töchter um sie herum. Botschafter, Minister, Beamte und der niedrige Adel aus Prinzenmark saßen hinter ihr – eine Versammlung von Männern und Frauen, die sie von Grund auf verabscheuten, dachte sie mit kaum merklichem Lächeln. Fast alle waren irgendwann einmal in der Hoffnung zu ihr gekommen, Roelstra durch sie beeinflussen zu können. Sie hatte alles angenommen, was man ihr bot, und nichts versprochen – schließlich konnten sie schlecht zum Hoheprinzen laufen und sich beklagen, dass ihr Bestechungsversuch bei seiner Mätresse fehlgeschlagen war. Roelstra lachte, wann immer Palila ihm ein neues Schmuckstück oder Gewand zeigte, das ihr in der Hoffnung zum Geschenk gemacht worden war, dass sie ihm etwas zuflüstern würde, wenn sein Kopf auf ihrem Kissen lag. Er ermutigte sie, die Bestechungsgeschenke zu behalten, da diese ihr einnehmendes Wesen befriedigten, ohne dass es ihn etwas kostete. Die Pracht der Geschenke war außerdem ein Zeichen für ihn, wie sehr die Schenkenden sein Gefallen wünschten. Er ließ sich von Geschenken für seine Mätresse niemals beeinflussen, aber gelegentlich gab er vor, dass es der Fall war, um auch weiterhin teure Gaben zu erhalten.
Sie hassten Palila aber noch aus einem anderen Grund. Sie war eine Adlige, die die Würde ihres Standes beschmutzt hatte, wenn die Stellung als Mätresse des Hoheprinzen auch eine gewisse Ehre mit sich brachte. Sie hatte sie verraten, indem sie nicht aktiv zu ihren Gunsten tätig wurde, sondern stattdessen versuchte, Roelstras Macht auf ihre Kosten zu vergrößern. Außerdem hatte sie noch keinen Sohn geboren. Und was noch schlimmer war: Sie hinderte Roelstra daran, eine andere Frau zu suchen, die ihm vielleicht den männlichen Erben schenken würde. Sie alle hatten Kandidatinnen, die als Roelstras nächste Mätresse in Frage kamen, aber Palila ließ ihn nicht los.
Die Adligen, Minister und Botschafter hatten aber auch Kandidatinnen, die als Braut für Prinz Rohan in Frage kamen. Niemand wusste mehr über ihn, als dass er ruhig und belesen war, und beim letzten Rialla war es ihm gelungen, sich so unauffällig zu benehmen, dass sich nur wenige erinnern konnten, wie er überhaupt aussah. Palila konnte fühlen, wie sie ihre Töchter abwägend musterten und überlegten, welche von ihnen Rohan beim Rialla für sich gewinnen würde.
Die Töchter überlegten dasselbe. Palila war sicher, dass zumindest Ianthe genau wusste, in welche Richtung sich die Gedanken ihres Vaters bewegten, denn das Mädchen strengte sich an, ihn gewogen zu machen. Auch Pandsala war nicht dumm; in den vergangenen Tagen hatte sie sich bei Tisch in die Gespräche eingeschaltet und Bemerkungen gemacht, die zeigen sollten, wie loyal und intelligent sie war. Gevina und Rusalka, den ältesten der illegitimen Töchter, war wohl kaum entgangen, dass sich ihre Schmuckkästchen und Kleiderschränke vor kurzem gefüllt hatten. Sollen sie nur nervös werden, dachte Palila. Soll sich Eifersucht unter ihnen wie ein Feuer ausbreiten – sollen die Adligen doch ihre Wetten darauf abschließen, welche der Prinzessinnen den Prinzen zum Gemahl bekommen würde. Sie allein wusste, was Roelstra im Sinn hatte, und dieses Wissen wollte sie mit niemandem teilen.
Nach einer Weile des Schweigens, um dem Toten Respekt zu erweisen, trat Roelstra vor die flackernden Kerzen der Versammlung. Er hatte eine gute Stimme, wie geschaffen für Zeremonien und das Geflüster
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