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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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möglicherweise nicht klug verwenden würde. Keiner von ihnen glaubte an sie, abgesehen davon, dass sie ihnen nützlich sein konnte.
    Sie lief die Gänge zu Urivals Zimmer entlang und verlangte Einlass. Urival saß am Fenster und sah ihr ruhig und mitleidig entgegen. Ihr Zorn verging, und sie hauchte beschämt seinen Namen, als ihre Stimme vor unterdrückten Tränen bebte.
    »Ach, Sioned«, murmelte er und breitete die Arme für sie aus. Sie kniete neben ihm nieder und barg zitternd ihr Gesicht an seinem Knie. Urival strich ihr Haar glatt und sagte nichts, bis sie wieder ruhiger war. Dann hob er ihr Gesicht zu sich empor. »Verstehst du jetzt? Siehst du, wie schwierig es für dich werden wird?«
    »Ich – ich sehe Andrade auf der einen Seite und die Faradhi -Tradition der Vergangenheit. Und Rohan ist auf der anderen, mit meiner Zukunft und meinem Herzen. Aber wenn sie nicht wünscht, dass ich mein Können zu seinen Gunsten einsetze, warum hat sie mir dann befohlen, hierherzukommen und seine Frau zu werden? Ich verstehe nichts davon, Urival! Hilf mir!«
    »Ich denke, sie vertraut darauf, dass du deine Gaben klug verwendest; und das zugunsten von jedermann – nicht nur von Rohan.«
    »Aber sie benutzen mich beide. Ich bin kein Seil, dessen eines Ende an einen Ochsen und das andere an einen Hengst gebunden ist im Versuch, sie gemeinsam etwas ziehen zu lassen!«
    »Ich kann mir auch denken, wen du in der Rolle des Ochsen siehst«, meinte er, und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »So, das ist schon besser«, lobte er. »Ich muss zugeben, dass ich unsere liebe Herrin schon mit weniger schmeichelhaften Tieren verglichen habe. Sioned, ich würde es lieber sehen, wenn du diese beiden sturen Tiere führen und deine Fähigkeiten als Bindeglied zwischen ihnen einsetzen würdest. Sie können dich nur ausnutzen, wenn du das zulässt, mein Kind. Du bist frei zu wählen.«
    »Bin ich das? Ich bin mit der Faradhi -Gabe geboren, und was ich im Feuer gesehen habe, hat mir überhaupt keine Wahl gelassen.« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe.«
    »Das sollte es auch. Jetzt geh zu Bett und schlafe, und morgen Abend lehre ich dich, was du wissen möchtest.«
    Sie fuhr zusammen. »Aber – du hast gesagt …«
    »Ja, und ich habe dafür gesorgt, dass du über ein paar Dinge nachgedacht hast, nicht wahr?«
    Sioned erhob sich. »Du bist selber ein hinterlistiges, stures, altes Biest, Urival. Warum lassen wir dir das nur alle durchgehen?«
    »Der Segen der Göttin«, lächelte er. »Und jetzt geht, Prinzessin.«
    Sie starrte ihn an, als sie diesen Titel aus seinem Mund vernahm. Er war der erste Mensch, der sie so nannte. Er zwinkerte ihr zu und machte eine beruhigende Bewegung mit der Hand. »Das wirst du werden, das weißt du doch. Alles andere wäre Verschwendung.«
    Die Tage vor der Jungtierjagd verstrichen, und weder Sioned noch Urival ließen sich viel blicken. Rohan wusste, dass er nicht dankbar sein sollte, weil sie anderweitig beschäftigt war, aber tatsächlich hatte er zu viel zu tun, um sich ihretwegen groß Gedanken zu machen. Doch jede Nacht, wenn er im Bett lag, träumte er davon, sie an seiner Seite zu haben, und jeden Morgen, wenn die Sonne sein Gesicht streichelte, dachte er im Halbschlaf, dass es eine Liebkosung ihrer Lippen sei. Wenn er zuweilen einen Blick auf sie erhaschte, war es immer wie ein Schock für ihn; er musste sich in Erinnerung rufen, dass er sie noch nicht anrufen, ihr nicht zulächeln, nicht zu ihr gehen durfte, um sie zu liebkosen oder zu küssen, kurz gesagt, dass er sich nicht so benehmen durfte, als gehörten sie zusammen. Er durfte nicht einmal dabei ertappt werden, dass er sie ansah. Er war stolz darauf, wie gut er seine Miene beherrschte, aber er wusste, dass jeder Blick auf Sioned, der mehr als flüchtig war, seine Gefühle auf sein Gesicht zaubern würde. Ein Teil von ihm verabscheute ihre Scharade und hasste es, dass Sioned ihm dies antun konnte. Schlimmer noch, sie war sich nicht einmal bewusst, dass sie dazu in der Lage war. Sie schien ihn im gleichen Maße zu übersehen, wie er sich ihrer Gegenwart bewusst war. Es war zum Verrücktwerden – und gleichzeitig eine exzellente Lektion in Geduld.
    Nach und nach trafen die Vasallen ein. Statt nun seine Tage mit dem Studium früherer Vereinbarungen zu verbringen, verbrachte Rohan seine Zeit damit, sie unauffällig zu veranlassen, alle Veränderungen vorzunehmen, die er wünschte. Er hatte

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