Sonnenlaeufer
sie alle schon früher getroffen, doch damals noch an der Seite seines Vaters. Man hatte sich respektvoll vor ihm verneigt, aber nichts wirklich Wichtiges mit ihm besprochen. Jetzt galten alle Ehrungen ihm, aber er trug auch alle Verantwortung. Früher war ihm die Spannweite ihrer Forderungen an Zehava niemals bewusst gewesen. Jedes Herrenhaus, jede Burg hatte eigene Probleme, eigene ehrgeizige Ziele. Rohan war dankbar für Tobins unaufdringliche Anwesenheit bei einigen dieser Treffen, denn ihre besonderen Kenntnisse als Herrin von Burg Radzyn waren ihm eine unauffällige Richtschnur, wenn es um die Athr’im -Kameraden ging. Manchmal war auch Chay anwesend; als Zehavas Kommandeur hatte er an der Seite all dieser Männer gekämpft, und dass er sie kannte, war ein wesentlicher Punkt. Andrade nahm niemals teil, aber gerade ihre Abwesenheit stellte sicher, dass alle Vasallen an sie dachten. Rohan staunte, wie sie das schaffte.
Pflichtschuldig lauschte er den verschiedenen Wünschen und Bedürfnissen, die vor ihm geäußert wurden. Er würde seine Vasallen beim Rialla vertreten, und was er dort für sie gewann, entschied über ihren Reichtum oder ihre Armut in den kommenden drei Jahren. Ihre Listen umfassten alles, vom Holz für ihre Häuser und Schiffe bis hin zu Taufkelchen aus Fironeser Kristall. Ein Lord erbat eine Anzahl Kurzbart-Schafe aus Gilad, um seine Herden zu verbessern; ein anderer wünschte ein Collier aus Silber und Achaten – den Juwelen der Verführung –, um seine eifersüchtige Gemahlin zu besänftigen. Rohan hörte allen zu, ohne zu lächeln oder die Stirn zu runzeln; nicht nur, dass sein Vater es immer so gehandhabt hatte – es war auch eine gute Übung für seinen Auftritt als Dummkopf beim Rialla . Einige würden ihn für zu dumm halten, um zu verstehen, was sie sagten; andere würden glauben, er imitiere seinen Vater und denke sich währenddessen Möglichkeiten aus, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen; und noch mehr würden ihn für zu verängstigt halten, um irgendeinen Ausdruck zu zeigen. Derartige Einschätzungen passten Rohan sehr gut … im Augenblick jedenfalls.
Insgeheim jedoch, und nur für die Ohren von Chay und Tobin bestimmt, platzte er manches Mal vor Vergnügen angesichts der Dinge, von denen seine Vasallen behaupteten, sie könnten nicht ohne sie leben. Aber er wusste, dass das Ausmaß ihrer Forderungen ganz und gar nicht lustig war; vor ihm lagen lange, harte Verhandlungen in Waes, und er hatte nicht die Absicht, sich schon jetzt zu ermüden, indem er sich mit seinen Vasallen herumstritt.
»Vater hat sie immer schmoren lassen, während er vorgab, er müsse noch überlegen«, erinnerte sich Tobin eines Abends, als sie noch spät bei einem Glas kühlen Weins und einer Platte mit Käse und Brot beisammensaßen. »Das meiste haben sie untereinander ausgemacht.«
»Zehava war ein sparsamer Geist«, fügte Chaynal grinsend hinzu. »Wenn zwei Lords mit angrenzendem Besitz beide einen neuen Hengst für ihre Stuten erbaten, dann hat er sie selbst ausdiskutieren lassen, wer den Hengst und wer das kostenlose Decken erhalten sollte.«
»Das kann ich nicht mehr zulassen«, erklärte Rohan. »Sie glauben, ich werde dieses Jahr ohnehin nicht viel für sie herausholen, und deshalb sind ihre Forderungen so überhöht. Wenn sie eine Menge verlangen, so haben sie sich ausgerechnet, könnten sie schließlich das bekommen, was sie wirklich brauchen – wenn die anderen Prinzen nett zu dem Idiotenkind sind.« Er verzog das Gesicht. »Was meine Vasallen bieten, reicht nicht einmal für ein Drittel dessen, was sie verlangen, und ich müsste die Differenz ausgleichen.« Er trank einen Schluck Wein und lachte dann laut auf. »Stellt Euch vor, Lord Baisal wünscht genügend Stein aus Syr, um eine neue Burg zu bauen! Das, was er mir dafür anbietet, würde nicht einmal ausreichen, um für die Keller zu bezahlen!«
»Befindet sich nicht unter Sioneds Vorfahren ein Prinz aus Syr? Das könnte doch vielleicht hilfreich sein«, murmelte Chay – doch Rohan überging diesen Hinweis.
»Das Einzige, was ich im Augenblick tun kann, ist, zuzuhören, ohne Entscheidungen zu treffen. Dann kann man sich auf kein Abkommen berufen, wenn ich erst einmal habe, was ich wünsche.«
»Aber da du mit ihnen Vereinbarungen getroffen hast, werden sie unruhig«, warnte Tobin.
»Das sind sie bereits. Die glauben nicht, dass ich so viel Verstand habe, dass ich überhaupt denken kann. Außerdem wird es ihnen noch
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