Sonnenlaeufer
zurückkam, empfing sie Urival mit säuerlichem Lächeln.
»Ich weiß nicht, warum du dir solche Sorgen machst«, grollte er. »Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du keine Schuld daran trägst, was Prinzessin Tobin passiert ist? Alle wissen das. Außer dir.«
»Ich muss selbst sicher sein«, antwortete sie hartnäckig. »Ich muss ganz genau wissen, was ich tue.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Der Schein einer einzelnen Kerze zuckte über sein faltiges Gesicht mit den großen, schönen, goldbraunen Augen. »Warum bleibst du nicht in der Schule der Göttin, wenn es die Lichtläufer-Ringe sind, die du dir wirklich wünschst? Du bist schon immer wissensdurstig gewesen, Sioned, seit du damals zu uns gekommen bist. Hinter was bist du her?«
»Wenn ich mich entschließe, Rohan zu heiraten, bekommt er durch mich weder Land noch Gold noch irgendetwas sonst, was ein Prinz für gewöhnlich bei seiner Heirat erhält. Seine Vasallen werden darüber unglücklich sein. Ich muss ihnen zeigen, dass ich ihr Vertrauen und ihre Loyalität verdiene. Und sollte ich ihn doch nicht heiraten, dann muss ich wissen, wie ich mein Talent an einem anderen Hof einsetzen kann.« Sie zuckte die Achseln. »Ich gehöre nicht mehr in die Schule der Göttin, Urival.«
»In Wirklichkeit bist du also hinter einem siebenten Ring her. Und einem achten.«
»Ja. Wirst du mich unterrichten?«
Er legte seine gespreizten Hände flach auf den Tisch. Bis auf den linken Ringfinger wiesen alle Gold oder Silber auf, die meisten Reifen waren mit winzigen Edelsteinen besetzt. »Du wünschst dir gefährliche Dinge. Erzähl mir, warum – und keine weiteren Geschichten über die Ehe, bitte. Du magst mit diesem Unsinn, dass du nicht sicher bist, Cami und Ostvel, vielleicht sogar Andrade zum Narren halten. Aber nicht mich.«
Sioned ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »Als ich damals in die Schule der Göttin kam, zählte für mich nur die Tatsache, dass ich nicht für verrückt gehalten wurde und für eine Außenseiterin wie dort, wo mein eigenes Heim gewesen war. Die Frau meines Bruders gab mir dieses Gefühl, und ihre Diener folgten ihrem Beispiel. Ich mache ihr keinen Vorwurf, dass sie so gedacht hat, Urival. Für sie war ich merkwürdig. Und durch sie wurde ich dorthin geschickt, wohin ich tatsächlich gehörte. Wo ich lernen konnte. Sobald ich herausgefunden hatte, was ich werden konnte, wenn ich nur hart genug arbeitete, schmerzte der Gedanke, nicht alles zu lernen, was möglich war, mehr als alle Lektionen es jemals vermochten.«
»Dann möchtest du die Ringe also für dich behalten?«
»Nicht unbedingt. Für mich und für Rohan. Nicht nur, weil ich ihn für meinen Mangel an Land und Reichtum entschädigen möchte. Ich muss ihn auch beschützen, so wie die ganze Wüste. Das bin ich seinem Volk schuldig, wenn er mich zur Frau nimmt.«
Urival sagte eine Weile gar nichts. Dann meinte er leise: »Ich werde dich nichts weiter lehren.«
Sioned sprang von ihrem Stuhl auf und rief: »Aber warum? Was habe ich falsch gemacht?«
»Du wünschst dir die Ringe aus den falschen Gründen. Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, dass eine Faradhi , die auch eine Prinzessin ist, eine Ungeheuerlichkeit bedeutet, Sioned? Glaubst du, weitere Ringe würden dir genügend Macht geben, um die zu ignorieren, die dich – wie die Frau deines Bruders – für sonderbar halten oder sogar für gefährlich? Der Friede zwischen den Prinzenreichen hängt von dem Gleichgewicht der Macht ihrer Herrscher ab. Die Faradhi’im weben dieses Netz aus Macht und halten es fest.«
»Andrades Netz!«, erklärte sie wütend. »Andrade, die mir befohlen hat, die Schule der Göttin zu verlassen und Rohans Gemahlin zu werden!«
»Andrade«, stimmte er ruhig zu, »deren Gründe vielfältig sind und vielleicht nicht dieselben wie deine.«
»Was will sie dann? Erklär es mir.«
Er stand auf. Mitleid stand in seinen Augen, aber seine Stimme war kalt, als er sagte: »Befiehl mir nicht, Lichtläufer. Noch bist du keine herrschende Prinzessin.«
Sie sah ihn gehen, starr vor Wut. Was wollten sie von ihr? Rohan hatte ihr befohlen, eine Rolle zu spielen, die sie schmerzte; seine grausame Bemerkung über ihre Ausbildung hatte sie zusammenzucken lassen, denn sie zeigte einen Mangel an Vertrauen in die Vorteile, die sie ihm als seine Gemahlin einbringen konnte. Andrade bestand auf dieser Ehe aus Gründen, die sie nicht kannte. Urival weigerte sich, sie Dinge zu lehren, die sie
Weitere Kostenlose Bücher