Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
Vom Netzwerk:
existierte, erhielt Konturen. Bis zu dir war ich ein Nebelkind, das in der Dreihundertsechzigquadratmeterlandschaft der Sjafnargata herumirrte.

    Der Liebste gab mir nicht nur die süßen Katzenäuglein und irgendwelche Hände, sondern auch meinen Namen, Lí, ein Symbol aus östlichen Welten. Ich schaffte es, in meinem Symbol wiedergeboren zu werden, und das ist mein Kern, den niemand kennt, nicht einmal Mummi.
    Ich fand keinen neuen Namen für dich, aber vielleicht doch, denn ich nannte dich immer beim Taufnamen, der sofeierlich ist, dass er nicht einmal im
Morgenblatt
verwendet wird. So strikt waren die gegenseitige Rücksichtnahme und das Protokoll, in heiklen ebenso wie in unheiklen Angelegenheiten.

    Mein Liebster hatte die protokollarischen Regeln für das Hallenbad ausgetüftelt. Mit Verzögerungstaktik unter der Dusche sorgte er dafür, dass ich ganz sicher vor ihm im Wasser war und mir die Peinlichkeit erspart blieb, am Beckenrand mit langem Rumpf und immer sichtbarer werdendem Busen seinen Blicken ausgesetzt zu sein.
    Dann schwammen wir hin und zurück, manchmal tauchten wir, und wir hielten Händchen mit winzigen Küssen, aber du achtetest darauf, mich nicht an den Brüsten zu berühren und nicht einmal hinzuschielen, obwohl das an und für sich höchst willkommen gewesen wäre. Wenn wir unsere Bahnen gezogen hatten, legte sich ein Arm leicht um meine Taille, ein Küsschen wurde auf die Wange gehaucht (aber darauf geachtet, dass niemand das sah), und Worte wurden geflüstert:
Ich gehe jetzt raus
.
    Und ich flüsterte zurück: Okay, aber ich glaube, ich schwimme noch eine Bahn.
    Und du stiegst aus dem Wasser, und ich zog noch eine Bahn, und ich brauchte mich nicht vor deinen Augen verlegen am Beckenrand herumzudrücken.
    Dieses Prozedere wurde von da an beibehalten. Wenn du den Arm um meine Taille legtest und mich auf die Wange küsstest, warst du im Begriff, aus dem Wasser zu steigen, doch immer hieltest du dich an das Protokoll und flüstertest es mir vorsichtshalber ins Ohr. Immer achtetest du streng darauf, alles richtig in Angriff zu nehmen, mich nie zu verschrecken, auf gar keinen Fall, indem du ohne Vorwarnung aus dem Wasser gestiegen wärst.

    Bei langen Aufenthalten im Freien gegen Ende des Winters setzte mir DIE KÄLTE zu. Meine Jacke war nicht nur zu dünn, sondern auch viel zu klein für mich geworden. Sie reichte mir nur noch bis gerade über die Taille. Mein warmblütiger Liebster lieh mir manchmal Schal und Anorak.
    An einem lausig kalten Märztag am Stadtteich reichte es dem Liebsten. Er verstieß sogar gegen eine Regel, denn es war zwischen uns nicht üblich, direkt über persönliche Angelegenheiten wie Anoraks zu reden.
    Du brauchst einen anständigen Anorak.
    Was?
    Du sahst mich so ernst an, als wolltest du mir den Laufpass geben:
    Du solltest deine Mutter um einen neuen Anorak bitten. Und möglichst auch um ordentliche Schuhe.
    Doch nicht Ragnhild, rutschte es mir heraus.
    Dann deinen Vater.
    Auf diesen Vorschlag wusste ich nichts zu entgegnen.
    Am nächsten Tag, in der Nähe des alten Friedhofs: Hast du deinen Vater um einen Anorak gebeten?
    Ich habe ihn nicht getroffen, und heute ist das Wetter so gut.
    Da wurdest du beinahe böse: Das Wetter wird nicht immer gut sein. Du solltest ihn das nächste Mal, wenn du ihn siehst, um einen Anorak bitten, oder ihn in der Arbeit anrufen.
    Anrufen? Er weiß nicht, was Anoraks kosten, vielleicht liegt bei ihm gerade jemand im Sterben.
    Unglücklicherweise hatten die Geschäfte noch auf, und du marschiertest unverzüglich ins Stadtzentrum. Wir gingen zu Faco, Geysir, Carnaby und zum Schluss ins Scout-Geschäft. Du übernahmst das Kommando.
    Was kostet dieser Anorak? Und der da?
    Nicht genug damit, dass du das Kommando übernahmst, du halfst mir auch in die Sachen hinein, die dir gefielen. Bei Faco und Carnaby gab es nichts Gescheites. «Nichtsnutziger Krempel» war dein Kommentar zu modischem Firlefanz.
    Du wähltest einen blaugrauen Anorak mit Kapuze im Scout-Geschäft, weil er warm genug war und die Farbe angeblich gut zu den süßen Katzenäuglein passte.
    Der Verkäufer bot an, ihn zurückzulegen. Er war in Uniform, und seit damals halte ich große Stücke auf die Pfadfinderbewegung. Ich versuchte sogar, meine Töchter zu Wichteln zu machen, aber die hatten andere Vorstellungen von Freizeitvergnügen.

    Ich übte den ganzen Tag und lernte meine Rolle mit korrekten Betonungen auswendig:
    Harald, ich muss ein bisschen betteln, meine alte Jacke

Weitere Kostenlose Bücher