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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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entgegengesetzte
Seite des Planeten die ersten Auswirkungen des Sturms zu
spüren bekommen. Aber die Welt würde sich drehen, wie
sie es immer tat, bis auch über Großbritannien die
Sonne aufging.
    Die Welt wäre am nächsten Morgen nicht mehr
dieselbe.
    Sie zitterte. »Ich vermag es immer noch nicht ganz zu
fassen«, sagte sie.
    »Ich verstehe«, sagte Aristoteles.
    Bisesa ging ins Bad und spritzte sich Wasser ins Gesicht und
auf den Hals. Die Wohnung war leer. Myra war offensichtlich
draußen, und Bisesas Cousine Linda war wieder nach
Manchester gefahren, um während des Sturms bei ihrer Familie
zu sein.
    Sie dachte über Aristoteles’ schlichte Aussage
›ich verstehe‹ nach. Aristoteles war ein Wesen,
dessen elektronische Sinne sich über den ganzen Planeten und
darüber hinaus erstreckten, und jeder wusste, dass seine
kognitive Potenz die der Menschen weit übertraf. Sicher
vermochte er die Konsequenzen der drohenden Katastrophe viel
klarer zu erfassen als sie – und in gewisser Weise war
Aristoteles in genauso großer persönlicher Gefahr wie
sie. Aber sie wusste nicht, was sie ihm hätte sagen
sollen.
    »Wo ist Myra?«
    »Auf dem Dach. Möchten Sie, dass ich sie
rufe?«
    Sie schaute unbehaglich auf die dräuende Dunkelheit.
»Nein. Ich werde sie selbst holen. Danke,
Aristoteles.«
    »War mir ein Vergnügen, Bisesa.«
     
    Sie ging die Treppe zum Dach zu Fuß hinauf. Das
Büro des Bürgermeisters hatte zwar vollmundig
versprochen, dass die Störung der Energieversorgung auf ein
Minimum beschränkt sein würde, doch Bisesa misstraute
jetzt schon den Aufzügen und Rolltreppen. Zumal laut
behördlicher Anordnung alle diese Geräte sowieso ab
Mitternacht abgeschaltet werden und alle elektronischen
Schlösser offen bleiben sollten, damit niemand eingesperrt
wurde, wenn der Hammer fiel.
    Sie erreichte das Dach. Die Kuppel überwölbte die
Dächer Londons; tiefblaue rechteckige Himmelsausschnitte
zeigten, wo die letzten Lücken noch geschlossen werden
mussten. In dem Maß, wie das riesige Dach der Kuppel Zug um
Zug geschlossen wurde, hatte es immer mehr so ausgesehen, als ob
sie alle in einer riesigen Kirche lebten, sagte sie sich –
in einem einzigen großen Gebäude.
    Als der regelmäßige Zyklus von Tag und Nacht
außer Kraft gesetzt wurde, war Bisesa laut Aristoteles
nicht die Einzige, die an Schlafstörungen litt; andere waren
auch davon betroffen, von der Bürgermeisterin selbst bis zu
den Eichhörnchen in Londons Parks.
    Auf dem Dach lag Myra bäuchlings auf einer aufblasbaren
Matte. Sie arbeitete an etwas, das wie Hausaufgaben aussah; ihre
Softscreen war mit Abbildungen übersät.
    Bisesa setzte sich neben ihre Tochter und schlug die Beine
übereinander. »Ich bin überrascht, dass du noch
Hausaufgaben zu machen hast.« Die Schule war nämlich
schon seit einer Woche geschlossen.
    Myra zuckte die Achseln. »Wir sollen alle Tagebuch
schreiben.«
    Bisesa lächelte. »Das ist aber eine sehr
altmodische Idee.«
    »Wenn die Lehrer nicht altmodisch wären,
würdest du dir doch Sorgen machen. Sie haben uns sogar
Papier und Stifte gegeben, falls die Softscreens durchbrennen.
Sie sagten, wenn die Historiker einst darüber schreiben, was
morgen geschieht, werden sie unsere vielen kleinen Geschichten
mit berücksichtigen.«
    Wenn es dann überhaupt noch Historiker gibt, sagte Bisesa
sich. »Und was schreibst du so?«
    »Was mir gerade so einfällt. Schau hier.« Sie
tippte auf eine Ecke der Softscreen, und ein kleiner Stein
vergrößerte sich. Er zeigte einen Ring aus
monolithischen Steinen, eine Versammlung weiß gekleideter
Leute, eine Hand voll schwer bewaffneter Polizisten.
    »Stonehenge?«, fragte Bisesa.
    »Sie haben sich für den letzten Sonnenuntergang
dort versammelt.«
    »Sind das Druiden?«
    »Ich glaube nicht. Sie beten einen Gott namens Sol
Invictus an.«
    Jedermann war ein Experte für Sonnengötter geworden.
Sol Invictus, die Unbesiegte Sonne, war noch einer der
interessanteren seiner Art, sagte sich Bisesa. Er war einer der
letzten großen heidnischen Götter gewesen; sein Kult
war im späten römischen Reich aufgekommen, kurz bevor
das Christentum zur Staatsreligion avanciert war. Zu Bisesas
Enttäuschung hatte es jedoch keine Anzeichen eines
›Revivals‹ von Marduk gegeben, dem babylonischen
Sonnengott. »Es wäre schön, den alten Kerl mal
wieder zu sehen«, hatte sie zu Aristoteles’
Verwirrung gesagt.
    »Natürlich es gibt

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