Sonnensturm
genauso energiereich war wie der
ursprüngliche Einschlag des Planeten. Er explodierte unter
der erdrückenden Last der Strahlungszone. Gemäß
dem Plan geschah es jedoch direkt unterhalb der Schneise, die
beim Durchgang des Jupiterartigen durch die Strahlungszone
geschlagen worden war.
Energie wallte durch die Strahlungszone empor – ein Teil
der Energie, die seit Millionen Jahren in diesem Speicher
eingeschlossen war, brach sich nun Bahn. Und auf zwei Dritteln
des Weges zur Oberfläche der Sonne erreichte diese Energie
die Tachokline: die Grenze zwischen der Strahlungs- und
Konvektionszone, oberhalb des Punktes, wo die Substanz der Sonne
wie Wasser in einer Pfanne kocht. Die Tachokline war der Ort, wo
die aktiven Regionen der Sonne ihre tiefsten magnetischen Wurzeln
hatten. Und es war die Tachokline, diese unruhige Grenze, an der
die Schwingungen des Kerns sich ›abreagierten‹.
Sonnen umspannende Flussröhren krümmten sich wie
Schlangen und stiegen sofort auf. Normalerweise hätte es
einen Monat lang gedauert, bis eine Flussschleife die
Oberfläche der Sonne erreichte. Diese mächtigen
Toroide, die das kältere Plasma einfach beiseite schoben,
brauchten aber nur Tage. Und so stark war die Störung in den
tieferen Schichten der Sonne, dass direkt hinter den Schleifen
Energie aus der Sonne strömte wie Luft, die aus einem Ballon
entwich.
Auch in ruhigen Zeiten durchbrechen magnetische Flussschleifen
die Oberfläche der Sonne. Sie bilden einen Teppich über
der Photosphäre, ein Geflecht aus Schleifen und Flecken und
Plasmafibrillen. Selbst die kleinsten dieser Schleifen sind nach
irdischen Maßstäben riesig. Die Schleifen, die nun
entstanden, waren aber monströs; sie erhoben sich
hoch über die Oberfläche der Sonne und schleppten
Plasmaströme nach. Diese mächtige magnetische
Störung interferierte mit dem Energiefluss von der Sonne,
und für eine Weile war der Bereich an der Basis dieses
Waldes aus Magnetismus durch das Energiedefizit tatsächlich
dunkler als der Rest des Sterns. Menschliche Augen und
Instrumente sahen eine riesige Sonnenfleckregion auf dem
leuchtenden Antlitz der Sonne erblühen.
Die Schleifen, die über die Oberfläche hinausragten,
glichen gebündelten Bäumen, deren Wurzeln aber noch
tief unter der Photosphäre verankert waren. Die Schleifen
verflochten sich, verhedderten sich, peitschten sich gegenseitig
und scherten ab, während sie versuchten, Energie abzugeben
und ein neues Gleichgewicht zu finden. Schließlich
durchdrangen im Herzen dieses wogenden Waldes zwei Schleifen sich
wie bei der Illusion eines Magiers. Die Schleifen verschmolzen
miteinander und zerrissen. Die Freisetzung der Energie in den
umgebenden Wald war katastrophal: Plasmaströme gerieten in
Aufruhr und regten die anderen Schleifen zu verstärkter
Raserei an. Bald kam es in der riesigen Störungszone zu
weiteren Neuverknüpfungen.
Der magnetische Wald schickte seine Energie in einer Kaskade
von Ereignissen nach oben, und ein mächtiger Schwall aus
harter Röntgenstrahlung, Gammastrahlung und energiereichen
Protonen schoss hinaus in den Raum.
Das war ein titanisches Ereignis – aber es war dennoch
nur eine Protuberanz, wenn auch eine riesige. Eine durch Prozesse
zustande gekommene Protuberanz, durch die eine rastlose Sonne
seit jeher ihre Energie abgegeben hatte. Was dann folgte, war
allerdings beispiellos.
Die riesigen Sonnenflecken unter dem magnetischen Wald
lösten sich auf. Durch die tiefe Wunde, die der Sonne vor
zweitausend Jahren geschlagen worden war, drang nun ein
härteres Licht. Bald würde die Sonne – nur in ein
paar Stunden – die Energie abgeben, die sie seit einem Jahr
gespeichert hatte.
Genauso, wie es in weiter Entfernung und vor langer Zeit
geplant worden war. Es war der 19. April 2042.
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SONNENUNTERGANG (I)
Bisesa erwachte.
Sie setzte sich auf und rieb sich die Schulter. Sie hatte auf
der Couch in ihrem Wohnzimmer ein Nickerchen gemacht.
Während sie geschlafen hatte, war es dunkel in der Wohnung
geworden.
»Aristoteles. Die Uhrzeit, bitte.«
Zu ihrer Überraschung nannte er ihr keine Uhrzeit.
Stattdessen sagte er: »Sonnenuntergang, Bisesa.«
Dies war der 19. April, der Tag vorm Sonnensturm. Also war das
auch der letzte Sonnenuntergang.
Auf dem Mond sagte Eugene voraus, dass der Sturm in der Nacht
losbrechen würde, ungefähr um drei Uhr in der
Früh. Britische Zeit. Also würde die
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