Sonnensturm
das Licht aus – das letzte
Licht des letzten Tages. Und irgendwo schrie jemand.
{ 35 }
SONNENUNTERGANG (II)
Auf der Brücke der Aurora 2 saß Bud Tooke
lose angeschnallt auf seinem Sitz.
Die Wände um ihn herum waren mit Softscreens
förmlich tapeziert. Die meisten zeigten Daten und
Abbildungen von verschiedenen Sektoren des Schilds und von
Beobachtungsstationen, die tiefer im Weltraum stationiert waren.
Aber es gab auch Gesichter: Rose Delea, die in ihrem Raumanzug
irgendwo auf dem Schild schwitzte, Michail Martynov und Eugene
Mangles auf dem Mond, die beide die letzten Stunden der Sonne vor
dem Sturm beobachteten und sogar Helena Umfraville, eine
überaus fähige britische Astronautin, mit der er
früher einmal trainiert hatte. Ihr Bild wurde zeitversetzt
vom fernen Mars übertragen.
Diese Besprechung diente keinem besonderen Zweck. Jedoch war
es gerade in dieser Zeit für die verstreuten Kinder der Erde
tröstlich, in Verbindung zu bleiben. Und so wurden die
Verbindungen offen gehalten, und zum Teufel mit der
Bandbreite.
Athene hüstelte dezent, um Aufmerksamkeit heischend. Das
hatte sie sich von Aristoteles abgeschaut.
»Entschuldigung, Bud.«
»Was ist denn, Athene?«
»Es tut mir Leid, Sie zu stören. Es ist nur so,
dass die Beschattung fast vollständig ist. Ich dachte, dass
Sie vielleicht die Erde sehen möchten…«
Auf seiner größten Softscreen-Anzeige rief sie eine
Darstellung des Heimatplaneten auf. Doch das Antlitz der Erde war
verdunkelt. Bud schaute in einen Millionen Kilometer langen
Schattentunnel; ein Schatten, der auf Erde und Mond fiel –
und der von einer menschlichen Konstruktion geworfen wurde. Bud
hatte Simulationen dieses Ereignisses schon hundertmal gesehen.
Dennoch verspürte er Ehrfurcht.
Das Schweigen wurde von Athene gebrochen.
»Bud?«
»Ja, Athene?«
»Was denken Sie gerade?«
Er hatte gelernt, seine Worte bei ihr sorgfältig zu
wägen. »Ich bin überwältigt«, sagte
er. »Ich bin schier fassungslos angesichts der
Größenordnung dessen, was wir geleistet haben.«
Sie sagte nichts, und er setzte nach: »Ich bin sehr
stolz.«
»Wir haben gute Arbeit geleistet, nicht wahr,
Bud?«
Er glaubte, einen sehnsüchtigen Unterton aus ihrer Stimme
herauszuhören. Er fragte sich, welche Antwort sie wohl von
ihm erwartete. »Das haben wir. Und wir hätten es auch
nicht ohne dich geschafft, Athene.«
»Dann sind Sie also auch stolz auf mich, Bud?«
»Das weißt du doch.«
»Aber ich würde es gern von Ihnen
hören.«
»Ich bin stolz auf dich, Athene.«
Sie schwieg, und er hielt den Atem an.
Die große Aufgabe, den Schild zu drehen, hatte Monate in
Anspruch genommen, und Bud war froh, als sie es endlich geschafft
hatten.
Der Schild war bewusst mit der Kante zur Sonne gebaut worden,
damit während der jahrelangen Bauphase möglichst wenig
vom Licht für die Erde ausgeblendet wurde: Schließlich
musste noch Getreide angebaut werden. Doch nun näherte sich
der Tag der Erprobung, und der Schild musste so ausgerichtet
werden, dass die Oberfläche direkt auf die Sonne wies.
Dieses trivial klingende Manöver war eine Herausforderung
gewesen, die mit dem Bauprojekt an sich durchaus vergleichbar
war.
Der Schild durchmaß dreizehntausend Kilometer, bestand
aber im Wesentlichen aus Glassplittern und Schaumstoff, sodass
kaum von einem festen Objekt die Rede sein konnte: Man hätte
ihn leicht mit der Faust zu durchstoßen vermocht, ohne es
zu bemerken. Die Leichtbauweise war notwendig gewesen; sonst
wäre die Erschaffung dieses Monstrums von vornherein ein
Ding der Unmöglichkeit gewesen. Durch die
außergewöhnliche Leichtigkeit der Struktur vermochte
man den Schild aber kaum zu manövrieren.
Hier war es nicht damit getan, die Steuertriebwerke der Aurora 2 zu zünden und den Schild in eine andere
Position zu bugsieren. Hätte man das versucht, dann
hätte das große Schiff sich nur aus dem hauchzarten
Gespinst losgerissen, in das es eingebettet war. Und so fein war
die Struktur, dass bei übermäßigem Druck auf die
Fläche der Scheibe sie mit größerer
Wahrscheinlichkeit gerissen wäre, anstatt sich zu neigen.
Erschwerend kam hinzu, dass der Schild rotierte. Die sanfte
Fliehkraft verhinderte, dass die Spinnennetz-Struktur in sich
zusammenfiel. Doch nun erwies die Rotation sich als Problem:
Versuchte man den Schild zu kippen, würde er sich
unberechenbar wie ein Kreisel verhalten.
Die einzige
Weitere Kostenlose Bücher