Sonnensturm
Einzelteilen besteht, die in den
Gärten und auf den Bauernhöfen, auf den Dächern
und in den Pflanzkübeln von Menschen auf dem ganzen Planeten
gezüchtet wurden. In gewisser Weise schuldet sie ihre
Existenz uns allen – und es ist eine Schuld, die sie
begleichen muss. Sie wird sich sofort an die Arbeit machen und
sich der großen Aufgabe widmen, den Schild zu drehen und
der Sonne zuzuwenden. Vom Moment ihres Erwachens an wird sie eine
große Verantwortung tragen.«
Sie schaute flüchtig auf Bud. »Ihr Taufpate ist
Oberst Tooke. Als Kind kam ich mit dem alten griechischen Mythos
von Perseus, Sohn des Zeus, in Berührung. Perseus stand
Medusa gegenüber, deren Blick ihn in Stein verwandelt
hätte. Also schützte er sich mit einem bronzenen
Schild. Er konnte Medusa durch ihr Spiegelbild sehen, und er
tötete sie. Bud hat mir gesagt, dass in manchen Versionen
des Mythos der Schild eigentlich Perseus’ Schwester
gehörte, einer Göttin nach eigenem Recht. Und deshalb
erscheint der Name, den Bud vorgeschlagen hat, der Name der
Krieger-Göttin, mir durchaus angemessen.«
Ihre Hand schwebte über einer Sensorfläche.
»Herzlich willkommen in der Welt – und auf einem
wichtigen Platz in unserer Zukunft.« Sie drückte mit
der Handfläche auf den Sensor.
Es trat keine offensichtliche Änderung ein. Die im Raum
zusammengedrängten Leute wechselten Blicke. Dennoch schien
es Siobhan, dass etwas in der Luft lag: eine Aura der Erwartung
und der Energie.
Dann rief jemand: »Seht! Der Schild!«
Bud rief hastig eine Softscreen-Darstellung der gesamten
Scheibe des Schildes auf, die von einer Beobachtungsstation hoch
über der Hauptachse übertragen wurde. Die langen
Schatten der Sonne schraffierten die Ebene – doch nun
liefen auch Wellen von Raketenfunken spiralförmig über
die Fläche der Scheibe.
»Schaut euch das an«, sagte Bud. »Sie
hat schon mit der Arbeit angefangen.« Er blickte auf.
»Hörst du mich?«
Die Stimme kam aus der Luft. Sie klang zwar noch etwas unstet,
war aber prononciert und akzentfrei – wie eine weibliche
Version von Aristoteles.
»Guten Morgen, Oberst Tooke. Hier spricht Athene. Ich
bin bereit für meine erste Lektion.«
{ 33 }
KERN
Die beschädigte Sonne wuchs ruhig. Für einen
zufälligen Beobachter hätte es ausgesehen, als ob
überhaupt nichts Besonderes geschehen, als ob der
jupiterartige Irrläufer nie hier vorbeigekommen
wäre.
Und genau dieser Eindruck sollte auch erweckt werden. Die
komplexen Wellen, die im Kern der Sonne sich ausbreiteten,
würden Jahrhunderte brauchen, bis sie den Resonanzgipfel
erreichten. Das alles war ein logischer Ablauf von dem Moment an,
als dieser metaphorische Kieselstein einfach so in einem
sechzehn Lichtjahre entfernten Sonnensystem in einen Teich
geworfen worden war.
Während die prognostizierte Folge von Ereignissen sich
abwickelte, entstanden und vergingen auf der Erde ganze
Reiche.
Als eine junge Zivilisation das Denken eines lang
verschwundenen Vorfahren wieder entdeckte, löste dies eine
tief greifende Revolution aus. Zum ersten Mal seit der Antike
wandten europäische Gelehrte sich der Sonne zu – nicht
etwa mit Ehrfurcht, sondern mit Wissbegierde und analytischen
Fähigkeiten. Im Jahr 1670 brach Isaac Newton Sonnenlicht mit
einem Prisma und erzeugte einen Regenbogen ›in
Gefangenschaft‹. Etwas später bildete John Flamsteed,
der erste Königliche Astronom, anhand der Newton’schen
Gesetze die Bewegungen der Planeten ab und bestimmte
Größe und Entfernung der Sonne. Im Jahr 1837
ließ William Herschel eine Schüssel mit Wasser vom
Sonnenlicht erwärmen und maß so die Wärmeleistung
des Sterns. Und im 20. Jahrhundert verwendeten Astronomen
Neutrinos, um die Abläufe im tiefsten Innern der Sonne zu
studieren.
Das war ein neuer Schlag von Leuten, für die die Sonne
nur ein alltägliches Objekt war, ein Forschungsobjekt. Und
doch waren sie genauso abhängig von der Wärme und dem
Licht, das die Sonne so reichlich spendete wie ihre
Sonnenanbeter-Vorfahren.
Und die ganze Zeit – tief im Herzen der Sonne –
rührte sich etwas.
Es begann im Kern, dem Ursprung sämtlicher Prozesse der
Sonne.
Seit dem harten Schlag, den der jupiterartige Irrläufer
der Sonne vor zweitausend Jahren versetzt hatte, hallte der Kern
wie eine Glocke. Nun verquickten seine komplexen und sich
überlagernden Schwingungsmodi sich schließlich in
einer Konzentration, die fast
Weitere Kostenlose Bücher