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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Möglichkeit, den Schild zu drehen, bestand
darin, vorsichtig eine sanfte Rotationskraft auf ihn
auszuüben und die Kraft dabei gleichmäßig auf die
ganze Oberfläche der Scheibe zu verteilen, damit kein
Abschnitt einem zu hohen Druck ausgesetzt wurde. Das ganze Ding
war dynamisch, wobei die Trägheitsmomente der Scheibe sich
in jedem Moment änderten; rein rechnerisch war das ein
riesiges Problem.
    Die einzige Möglichkeit bestand natürlich nur darin,
die Berechnung Athene zu übertragen, der
künstlich-empfindungsfähigen Seele des Schilds.
Für sie war der Schild ihr Körper, die Sensoren und
Kommunikations-Stränge das Nervensystem, die winzigen
Motoren Muskeln. Und bei ihrer Intelligenz war die komplizierte
Aufgabe, die Scheibe zu neigen, lediglich eine anspruchsvolle
mentale Übung.
    Also war die monatelange Aufgabe ausgeführt worden. Bei
Tag und Nacht funkelten die ›Sternbilder‹ kleiner
Raketen-Triebwerke, feuerten in Wellen übers Antlitz der
Scheibe und schufen bezaubernde Muster. Ihre winzigen Impulse
kippten die Scheibe freundlich, aber bestimmt.
    Und allmählich – wie in den Simulationen
vorhergesagt – hatte der Schild sich der Sonne
zugewandt.
    Bud wusste, dass er sich unnötig Sorgen gemacht hatte.
Alles war sorgfältig geplant und immer wieder simuliert
worden; ein Scheitern wäre höchst unwahrscheinlich
gewesen. Aber er hatte sich trotzdem Sorgen gemacht. Es war
nämlich nicht nur das innewohnende Risiko des Manövers
und nicht einmal der übliche fromme Wunsch eines
Astronauten, dass er beim Auftreten einer Panne verschont
blieb.
    Da war noch etwas, das ihn störte; etwas, das er nicht so
recht zu fassen vermochte. Es ging um Athene.
    Diese dritte cybernetische, nicht menschliche Juristische
Person mutete Bud ganz anders an als Aristoteles und Thales, ihre
älteren Brüder. Sicher, sie war genauso klug,
leistungsfähig und kompetent wie jeder von ihnen –
vielleicht sogar noch klüger. Aber wo Aristoteles immer
distinguiert wirkte und Thales ein bisschen ruppig und
unverblümt, war Athene – anders. Sie konnte verspielt
sein. Witze reißen. Manchmal schien sie fast
kapriziös. Gar kokett! Und dann machte sie wiederum einen
desolaten Eindruck, als ob ihr geistiger Zustand von jedem Wort
des Lobes abhinge, das er ihr gegenüber aussprach.
    Er hatte versucht, das mit Siobhan zu besprechen. Doch sie
hatte ihn nur einen unbelehrbaren alten Sexisten gescholten:
Athene hatte einen weiblichen Namen und eine weibliche Stimme,
und so hatte er ihr seine falschen Vorstellungen von Weiblichkeit
aufgepfropft.
    Vielleicht stimmte das sogar. Aber er arbeitete enger mit
Athene zusammen als irgendjemand sonst. Und selbst wenn niemand
sonst es erkannte, und selbst wenn alle Diagnoseroutinen
grünes Licht zeigten, hatte sie doch etwas an sich, das ihn
störte.
    Einmal hatte er sogar den dezidierten Eindruck, dass Athene
ihn anlog. Er sprach sie sofort darauf an – das lief
nämlich ihrer ganzen Programmierung zuwider –, und
natürlich hatte sie es bestritten. In welcher Hinsicht
hätte sie ihn aber belügen sollen? Die Saat des
Zweifels war jedenfalls aufgegangen.
    Athenes ›Bewusstsein‹ war eine logische
Struktur, in allen Teilen genauso komplex wie die physische
Technik, die sie ausmachte: mit verschachtelten Regelschichten,
Einlinien-Subroutinen für die Steuerung der miniaturisierten
Raketentriebwerke bis hin zu den großen kognitiven Zentren
an der Oberfläche ihres künstlichen Bewusstseins. Die
Prüfroutinen zeigten zwar keinen Fehler an, aber das schloss
nicht aus, dass es in der Tiefe dieses riesigen neuen
Bewusstseins einen schweren subtilen Defekt gab – einen
Defekt, den er nicht verstand und dessen Ursache er nicht zu
diagnostizieren vermochte. Falls ein Fehler existierte, wusste er
nicht, wie er ihn hätte beheben können.
    Irgendwie hatte Athene dieses Neigemanöver geschafft,
ihre erste große Herausforderung perfekt bewältigt
– trotz Buds Bedenken. Da konnte sie eine noch so
große Macke haben, solange sie ihren Job morgen genauso gut
erledigte. Aber er wusste, dass er keine Ruhe hätte, bis die
Arbeit geschafft war – auf die eine oder andere Art.
     
    Auf Buds Softscreen war die künstliche Sonnenfinsternis
fast perfekt. Die Erde war fast völlig verdunkelt, und die
Konturen der Kontinente wurden durch die Lichter der Städte
an den Küsten und großen Flusstälern markiert.
Nur eine ganz schmale Sichel des

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