Sonnensturm
betrieben – und zwar mit großem
Erfolg. Diese Tradition geht bis auf die Skylab-Besatzungen
zurück, die im Jahre 1973 im Erdorbit einen
Bildgebungs-Spektrografen betrieben haben, den Harvard eigens
für sie gebastelt hatte. Und heute führen wir diese
Tradition fort. Aber wir sprechen dabei nicht nur über die
Wissenschaft. Heute bittet man uns um Hilfe. Als Kommandant der
Clavius-Basis ist es mir eine Ehre, Professor McGorran hier bei
uns zu haben – es ist mir eine Ehre, dass man uns hier auf
dem Mond die Fähigkeit für die Lösung dieses
Problems zutraut. Professor.« Er nickte Siobhan zu und
setzte sich.
Nach diesen aufmunternden Worten, die der schwierigen
Situation indes nicht ganz gerecht wurden, schaute Siobhan in die
Runde. Sie fing nur einen freundlichen Blick auf, ein
wohlwollendes sparsames Lächeln von Michail Martynov. Gut
zu wissen.
»Guten Morgen. Ich werde heute wohl mehr zuhören
als reden, aber ich möchte dennoch ein paar einleitende
Bemerkungen machen. Mein Name ist…«
»Wir wissen schon, wer Sie sind.« Der Sprecher
gehörte offensichtlich zu den Geologen; es war eine
stämmige Frau mit dicken Armen und einem kantigen Gesicht.
Ihr finsterer Blick drückte die größte
Feindseligkeit aller im Raum Anwesenden aus.
»Dann bin ich Ihnen gegenüber im Nachteil,
Doktor…«
»Professor. Professor Rose Delea.« Sie hatte einen
breiten australischen Akzent. Siobhan war über sie im Bilde;
Rose war eine Expertin in der Gewinnung von Helium-3 aus
Mondregolith durch Sonnenlicht. Dieses Helium-Isotop, ein
Brennstoff für Fusionsreaktoren, war das Pfund, mit dem der
Mond in wirtschaftlicher Hinsicht wucherte, und Rose war hier
eine einflussreiche Person. »Ich will nur wissen, wann Sie
wieder abreisen, damit ich endlich wieder ernsthafte Arbeit
verrichten kann. Und ich will auch den Grund für diese ganze
Geheimniskrämerei wissen. Seit dem 9. Juni ist die
ausgehende Kommunikation eingeschränkt worden, und ein paar
Sektionen von Thales’ Datenbanken und anderer
Informationsspeicher sind ganz gesperrt worden…«
»Ich weiß.«
»Das hier ist der Mond, Professor McGorran. Falls Sie es
noch nicht bemerkt haben, wir alle sind weit von zu Hause und
unseren Familien entfernt. Die Verbindung zur Erde ist wichtig
für unser psychisches Wohlbefinden, ganz zu schweigen von
unserer physischen Sicherheit. Und wenn Sie nicht wollen, dass
die Moral weiter sinkt…«
Siobhan hob die Hand und bedeutete ihr zu schweigen. Zu ihrer
Erleichterung schwieg Rose auch. »Ich bin ganz Ihrer
Ansicht.« Das meinte sie ernst. Diese Geheimhaltung gefiel
ihr auch nicht besser als diesen Mondleuten, sagte Siobhan sich;
Offenheit war nämlich ein wesentlicher Bestandteil des
endlosen Diskurses, der gute Wissenschaft ausmachte. »Diese
strengen Sicherheitsmaßnahmen sind schwierig für alle
Betroffenen und wären auch nicht akzeptabel – unter
normalen Umständen«, sagte sie. »Doch das sind
keine normalen Umstände. Bitte haben Sie dafür
Verständnis.
Ich stehe heute als eine Gesandte sowohl des britischen
Premierministers als auch der Ministerpräsidentin der
Eurasischen Union vor Ihnen. Nach meiner Rückkehr auf die
Erde muss ich noch weitere Regierungschefs unterrichten,
einschließlich Präsidentin Alvarez der Vereinigten
Staaten. Und alle werden sie wissen wollen, was von der Sonne zu
erwarten ist.«
Ihre Darlegungen wurden überwiegend mit
verständnislosen Blicken quittiert. In den Briefings durch
Berater diverser desillusionierter Politiker war sie schon
hinsichtlich einer gewissen Inselmentalität hier oben auf
dem Mond vorgewarnt worden, wo die Erde als ›jwd‹
und nebensächlich erschien. Also hatte sie eine ganz
besondere Präsentation vorbereitet. »Thales,
bitte…«
Sie gab ihnen eine fünfminütige Zusammenfassung
– in Bild, Grafiken und Ton – der verheerenden
Auswirkungen des 9. Juni auf die Erde. Das Publikum schaute in
düsterem Schweigen zu.
»Und aus diesem Grund bin ich hier, Professor
Delea«, sagte sie zum Schluss. »Ich brauche ein paar
Antworten – wir alle brauchen diese Antworten. Was ist
mit der Sonne los? Wird es wieder einen 9. Juni geben?
Müssen wir mit einer kleineren oder größeren
Katastrophe rechnen? Auf dem Mond – hier in diesem Raum
– haben Sie ein paar der besten Sonnenwissenschaftler der
Menschheit. Und die eine Person, die eine genaue
Vorhersage des 9. Juni getroffen hat.«
Eugene
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