Sonnensturm
Gesichter ihrer umkreisenden Planetenkinder. Dieser
›Sonnenwind‹ ist eine komplexe, turbulente Brise.
Auf manchen Lichtfrequenzen erkennt man dunkle Flecken auf der
Oberfläche der Sonne -›Korona-Löcher‹,
Regionen mit magnetischen Anomalien, wie Brüche in der Sonne
–, die höher energetische Sonnenwindströme
ausblasen. Wie ein riesiger Rasensprenger versprüht die sich
drehende Sonne diese Ströme in einem spiralförmigen
Schwall im gesamten Sonnensystem.
»Wir richten das Augenmerk vor allem auf die
›Sprinkler‹-ströme«, sagte Michail.
»Jedes Mal, wenn der Planet in einen solchen Strom
gerät, bekommen wir nämlich Probleme, weil die Erde und
die Magnetosphäre mit energiereichen Partikeln beschossen
werden.«
Und noch mehr Probleme für die Erde resultieren aus den
sporadischen Unregelmäßigkeiten der Sonne.
»Einmal gibt es koronare Masseausstöße«,
erklärte Michail, »wie das Monster, das uns am 9. Juni
getroffen hat – große Plasmaergüsse, die uns von
der Sonnenoberfläche entgegenschlagen. Dann wären da
noch die Protuberanzen. Diese Detonationen werden durch
magnetische Störstellen auf der Sonnenoberfläche
verursacht und sind die stärksten Explosionen, die das
Sonnensystem in seiner jüngeren Geschichte erlebt hat
– jede Einzelne mit einer Sprengkraft von Milliarden
Atombomben. Protuberanzen bombardieren uns mit Strahlung von
Gamma- bis Radiowellen. Und manchmal kommt in ihrem Gefolge noch
etwas, das wir als ›Sonnenprotonenereignisse‹
bezeichnen – Kaskaden geladener Teilchen.«
Die rastlose Sonne folgt einem elfjährigen
›Sonnenzyklus‹, an dessen Höhepunkt die
Sonnenfleckenaktivitäten wesentlich stärker sind und
die Protuberanzen viel heftiger eruptieren als im Minimum.
Michail skizzierte den mutmaßlichen Mechanismus hinter dem
Sonnenzyklus. Ein ›meridionaler Fluss‹ von Plasma
über die Sonnenoberfläche vom Äquator zu den Polen
transportiert die Überreste der Sonnenflecken nach Nord und
Süd. An den Polen versinkt das abgekühlte Material bis
zur Basis der Konvektionszone im Körper der Sonne.
Anschließend wandert es zum Äquator zurück. Die
magnetischen Narben, die von den Sonnenflecken verursacht werden,
machen diesen Zyklus mit – wie Geister, die die
nächste Generation aktiver Regionen gebären.
Michail beschrieb die komplizierte Beziehung von Sonne, Erde
und Menschheit.
Schon in historischen Zeiten hat die Veränderlichkeit der
Sonne das Klima der Erde beeinflusst. In einem Zeitraum von
über siebzig Jahren, etwa von 1640 bis 1710, wurden nur ein
paar Sonnenflecken auf dem Antlitz der Sonne beobachtet –
und die Erde fiel in etwas, das die Klimaforscher als die
»Kleine Eiszeit« bezeichnen. Europa litt an strengen
Wintern und kühlen Sommern; auf dem Höhepunkt dieser
Entwicklung – im Jahr 1690 – liefen die Londoner
Kinder sogar auf der Themse Schlittschuh.
Im elektronischen Zeitalter wurden durch eine zunehmende
Abhängigkeit von der Hochtechnologie die Menschen viel
verwundbarer gegenüber selbst milden Launen der Sonne. Im
April 1984 legten Protuberanzen die Kommunikationssysteme in der
Präsidentenmaschine Air Force One lahm, sodass
Präsident Reagan mitten über dem Pazifik für zwei
Stunden von der Außenwelt abgeschnitten war. Der
stärkste Sturm, der vor dem 9. Juni aufgezeichnet worden
war, hatte sich im September 1859 ereignet und
Telegrafenleitungen verschmort.
»Und im Jahr 2003 standen wir auch wieder kurz
davor«, sagte Michail. »Auf der Sonne ereigneten sich
zwei Ausbrüche in zwei aufeinander folgenden Tagen, die
direkt auf die Erde gerichtet waren. Dass wir vor gravierenden
Auswirkungen verschont blieben, war nur einer zufälligen
Anordnung von Magnetfeldern zu verdanken.«
Rose Delea wurde unruhig. »Alle diese Phänomene
sind durchaus bekannt.«
»Ja, wir glauben, dass es uns gelingt, die Auswirkungen
dieser verschiedenen Sonnenstörungen immer genauer zu
messen«, sagte Michail. »… und sie
vorherzusagen, obwohl das immer noch mehr eine Kunst als eine
Wissenschaft ist…« Er rief eine Grafik mit drei
›Raumwetterskalen‹ auf, die der
Weltraumwetterdienst vom alten amerikanischen Space
Environment Center geerbt und seitdem gründlich
überarbeitet hatte. »Wie Sie sehen, beschreiben wir
drei Problemtypen für die Erde: geomagnetische Stürme,
Sonnenstrahlungsstürme und Funkausfälle. Jeder Typ wird
mit diesen Skalen im Bereich von eins
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