Sonnensturm
16 }
NACHBESPRECHUNG
Bisesa musste alles noch einmal durchleben.
»Und dann sind Sie wieder nach Hause gekommen«,
sagte Unteroffizier Batson mit übertriebener Betonung.
»Von diesem – anderen Ort.«
Bisesa unterdrückte einen Seufzer. »Von Mir. Ja,
ich bin wieder nach Hause gekommen. Und das ist noch am
schwersten zu erklären.«
Die beiden saßen in George Batsons kleinem Büro in
Aldershot. Der Raum war in beruhigenden Pastelltönen
gehalten, und ein Gemälde mit einer Meereslandschaft hing an
der Wand. Ein Design, um Geisteskranke ruhig zu stellen, sagte
sie sich sarkastisch.
Batson unterzog sie einer gründlichen Musterung.
»Erzählen Sie mir einfach, was geschehen
ist.«
»Ich habe eine Sonnenfinsternis
gesehen…«
Sie war irgendwie in ein Auge hineingesogen worden, ein
großes Auge im alten Babylon. Und durch das Auge war sie dann am frühen Morgen dieses
schicksalhaften Tages, dem 9. Juni, nach Hause in ihre Wohnung in
London gebracht worden.
Aber sie war nicht auf direktem Weg nach Hause gekommen.
Vorher hatte sie noch einen anderen Ort besucht: sie und Josh,
obwohl ihm nicht gestattet worden war, weiter zu gehen. Es
war eine desolate Ebene mit roten Felsen und Staub gewesen. Bei
näherer Überlegung erinnerte es sie jedoch ans öde
Terrain, das die Besatzung der Aurora 1, die Forscher auf
dem Mars, aufgenommen hatte. Aber sie vermochte die Luft zu
atmen; es war bestimmt die Erde.
Und dann war da noch die Sonnenfinsternis gewesen. Die Sonne
hatte hoch am Himmel gestanden. Dann hatte sich der Mond vor die
Sonne geschoben, aber er hatte sie nicht vollständig
verdeckt – ein Ring aus Licht war übrig geblieben.
Mit leise kratzendem Kugelschreiber zeichnete Batson diese
phantastische Geschichte penibel auf.
Die Armee war um Fairness bemüht.
Nachdem sie ihrem kommandierenden Offizier in Afghanistan
Meldung gemacht hatte, war sie zum Rapport in ein Büro ins
Verteidigungsministerium in London beordert und
anschließend zu medizinischen und psychologischen Tests
nach Aldershot geschickt worden. Im Moment erlaubte man ihr,
jeden Abend nach Hause zu Myra zu gehen. Man hatte ihr aber einen
Peilsender verpasst, ein intelligentes Tattoo an der
Fußsohle.
Und während sie nun auf die Resultate der
körperlichen Untersuchung wartete, wurde sie von diesem
agilen jungen Psychologen ›debriefed‹, wie er sich
ausdrückte.
Sie hatte sich entschieden, der Armee alles zu sagen. Ihr war
bewusst, dass sie mit Lügen nicht weiterkommen würde.
Zumal ihre Geschichte – falls sie wirklich stimmte –
von großer, geradezu schicksalhafter Bedeutung war. Sie war
ein Soldat, und sie glaubte, dass sie eine Pflicht hatte: Die
Behörden mussten – ausgehend von ihrer eigenen
Kommandokette – wissen, was sie wusste, und sie musste auch
versuchen, sie von ihrer Version zu überzeugen.
Und was sie persönlich betraf, galt das, was Cousine
Linda einmal salopp gesagt hatte: »Nun, sie können
dich nur einmal sezieren!«
Trotzdem fiel es ihr schwer, sich mit dem Vorgang zu
arrangieren. Rein formal hatte sie einen höheren Rang als
dieser Unteroffizier – doch bei dieser Untersuchung war er
der Psychologe und sie diejenige, bei der ›eine Schraube
locker‹ war. Es stand außer Frage, wer hier den Ton
angab. Und dass er so viel jünger war als sie, machte es
auch nicht besser.
Genauso wenig, wie es ihr half, dass sie auf der Mir einen
anderen Batson in der britischen Armee gekannt hatte, der
ebenfalls Unteroffizier war. Sie hätte Batson am liebsten
über seinen familiären Hintergrund ausgefragt und ob er
vielleicht wüsste, ob er vor sechs oder sieben Generationen
einen Vorfahren gehabt hätte, der an der Nordwestgrenze
gedient hatte. Doch sie wusste, dass sie sich damit keinen
Gefallen getan hätte.
»Nach unserer letzten Sitzung habe ich mich über
Sonnenfinsternisse informiert«, sagte Batson mit einem
Blick auf seine Aufzeichnungen. »Die Entfernung zwischen
Erde und Mond schwankt etwas, heißt es hier. Also ist eine
›totale‹ Finsternis eigentlich nicht total. Auch
wenn Sonne und Mond im selben Punkt am Himmel zentriert sind,
lugt trotzdem ein Stück der Sonnenscheibe hervor, weil die
scheinbare Größe des Mondes zu gering ist. Man
bezeichnet das als eine annulare Sonnenfinsternis.«
»Ich weiß selbst, was eine annulare
Sonnenfinsternis ist«, sagte sie. »Ich habe mich
nämlich auch damit befasst. Der Ring, den ich
Weitere Kostenlose Bücher