Sonnensturm
Marlboro-Mann, dem immer ein Glimmstängel aus
dem Mundwinkel ragte. Doch nicht einmal die modernsten nicht
Krebs erregenden, nicht süchtig machenden und nicht Luft
verschmutzenden Rauchwaren waren in der geschlossenen Umgebung
einer Mondbasis zugelassen. »Wenn das Problem doch nicht so
gravierend wäre«, sagte Michail. »Wenn wir es
nur mit einem Asteroiden zu tun hätten, der uns auf den Kopf
zu fallen droht! Wo ist Bruce Willis, wenn man ihn
braucht?«
»Wer?«, fragte Toby.
»Schon gut. Ich habe leider ein Faible für
schlechte Filme des letzten Jahrhunderts…«
Siobhan ließ den nervösen Wortwechsel weiterlaufen.
Eine Woche nach der Rückkehr von ihrem zweiten Mondflug war
sie noch immer übermüdet, ziemlich benommen und hatte
obendrein hämmernde Kopfschmerzen. Nach dem Aufenthalt im
interplanetaren Raum glaubte sie schier zu ersticken in der
miefigen Atmosphäre der Society mit dem Geruch nach
Möbelpolitur, der großen Kaffeemaschine, die in der
Ecke vor sich hingurgelte und dem Berg von Proteinkeksen, der auf
einem Teller auf dem Tisch stand. Und sie war der Verzweiflung
nahe.
Seit sie Miriams Auftrag angenommen hatte, das Sonnenereignis
zu handhaben, war bereits ein Monat vergangen – und sie
hatte nichts erreicht, außer die ›Experten‹
rund um den Globus in tiefste Verzweiflung zu stürzen.
Michail und Toby, dieses ungleiche Paar, waren ihr letzter
Trumpf. Aber das würde sie ihnen bestimmt nicht auf die Nase
binden. »Machen wir weiter«, sagte sie energisch.
Michail warf einen Blick auf Aufzeichnungen außerhalb
des Erfassungsbereichs der Kamera. »Ich habe Eugenes
aktuelle Prognosen.«
Grafiken leuchteten in der intelligenten Tischplatte vor
Siobhan und Toby auf und bildeten den Energiefluss in Verbindung
mit Wellenlängen, Teilchenmassen und anderen Parametern ab.
»Es hat sich leider nichts Wesentliches geändert. Wir
sehen einen starken Zufluss von Sonnenenergie am 20. April 2042.
Er wird für fast vierundzwanzig Stunden anhalten, sodass
beinahe jeder Punkt auf der Erdoberfläche davon betroffen
sein wird. Wir werden nicht einmal den Schutz der Nacht haben.
Und weil wir uns dann in der Nähe des Frühlingspunkts
befinden, werden nicht einmal die Pole verschont bleiben. Muss
man da noch in allen Einzelheiten wissen, was aus der
Atmosphäre und den Meeren wird? Nein. Es genügt der
Hinweis, dass die Erde bis in ein paar Dutzend Meter Tiefe
sterilisiert werden wird.
Aber«, fuhr Michail fort, »zumindest wissen wir
nun mit viel größerer Gewissheit, wie die
Energie zugeführt wird. Wir schauen auf Störstellen in
den Strahlungs- und Konvektionszonen, wo normalerweise ein
Großteil der Energie gespeichert ist…« Er
tippte auf die verborgene Fläche vor sich, und eine Grafik
in der Tischplatte wurde markiert.
»Aha«, sagte Siobhan. »Die Intensität
wird im sichtbaren Spektrum das Maximum erreichen.«
»Wie es für das Spektrum des Sonnenlichts typisch
ist«, sagte Michail. »Das Maximum liegt im
grünen Licht. Für das unsere Augen am empfindlichsten
sind und wo Chlorophyll am effektivsten arbeitet. Zweifellos ist
das auch der Grund, weshalb die Evolution Chlorophyll als die
photosynthetische Chemikalie ausgewählt hat, die als
Brennstoff für das ganze aerobe Pflanzenleben
dient.«
»Dann müssen wir uns also auf Folgendes einstellen:
einen Sturm grünen Lichts von der Sonne«, sagte
Siobhan mit fester Stimme. »Sprechen wir nun über
Optionen, die Sache zu handhaben.«
Toby grinste. »Der Phantasie sind keine Grenzen
gesetzt!«
»Soll ich anfangen?«, sagte Michail. Er tippte auf
die Softscreen, und auf den Anzeigen vor Siobhan erschien eine
Auswahl schematischer Darstellungen, Tabellen und Grafiken.
»Schon vor dieser aktuellen Krise haben Wissenschaftler
nach Möglichkeiten gesucht«, sagte Michail, »die
solare Insolation zu verringern – den Anteil des
Energieflusses der Sonne, der den Planeten erreicht.
Natürlich geschah dies vor allem unter dem Aspekt,
Sonnenlicht zu reflektieren oder zu absorbieren, um die
Erderwärmung abzuschwächen.« Er zeigte ihnen
Bilder von Staubwolken, die in die obere Atmosphäre
injiziert worden waren. »Ein Vorschlag besteht darin, mit
Trägerraketen Feinststaub in der Stratosphäre
auszubringen. Damit würde man die Auswirkungen eines
Vulkanausbruchs imitieren; nach einem großen Ausbruch wie
Krakatau tritt für ein paar Jahre ein globaler
Temperaturabfall von
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