Sonnensturm
schief gehen und bin
skeptisch, wenn sie gut laufen.« Sie rang sich ein
Lächeln ab. »Genau die richtige Einstellung für
eine Führungskraft.«
Er neigte den Kopf, und sein grauer Bürstenhaarschnitt
reflektierte das Licht der Korridorbeleuchtung. »Sie machen
das schon richtig. Und was die Motivation betrifft,
überlassen Sie das nur mir. Ich war mal ein
gefürchteter Schleifer in Ausbildungslagern im Mittleren
Westen. Ich kann sie so richtig hart rannehmen. Vielleicht werden
wir beide ein richtig gutes Team bilden.« Sprach’s,
legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie
herzhaft.
Sie spürte seine Kraft und roch einen Hauch von
Aftershave. Bud machte manchmal wirklich den Eindruck, als sei er
ein Relikt der 1950er. Aber seine unbezähmbare Stärke,
die Offenheit und der rustikale Humor hatten es ihr einfach
angetan. Und das war noch längst nicht alles, was ihr an ihm
gefiel…
Wie er sie hielt, spürte sie eine intensive, wohlige
Wärme in sich aufsteigen. Sie bedauerte es, als er sie
wieder losließ.
Bei ihrem ersten Besuch war die Artemis-Kuppel Schauplatz
einer Reihe von Mondindustrie-Experimenten gewesen. Nach ein paar
Monaten war der Betrieb regelrecht explodiert. Die Kuppel war
aufgeschnitten worden, und man hatte sie um provisorische
Anbauten verlängert, um das Betriebsgelände zu
vergrößern – zum größten Teil im
Vakuum. Es war eine Szene wie aus Dantes Inferno, sagte Siobhan
sich beim Anblick der grotesken, in Raumanzügen
gehüllten Gestalten, die durch Ensembles aus Rohrleitungen,
Röhren und Containern glitten. Der ganze Schauplatz war mit
dem allgegenwärtigen Anthrazit des Mondes eingefärbt
wie die Karikatur einer Zechenlandschaft.
Das Produkt dieser gewaltigen Anstrengung war Metall.
Aluminium war der Hauptbestandteil des
Massetreiber-Startsystems, während Eisen für die
elektromagnetischen Systeme benötigt wurde – quasi die
›Muskeln‹ der Anlage. Der Massetreiber würde
kilometerlang werden. Die Mond-Kolonisten mussten einen direkten
Sprung von der Testphase in die Produktion im industriellen
Maßstab leisten; die Skalenänderung war enorm, der
Druck gewaltig.
Bud skizzierte die Probleme. »Es handelt sich um auf der
Erde erprobte Verfahren«, sagte er. »Nur dass die
Bauteile sich hier oben völlig unberechenbar verhalten. Das
gilt für Kugellager genauso wie für fließendes
Öl…«
»Aber Sie kommen doch zurecht.«
»O ja.«
Inzwischen war die Kuppel Selene, ursprünglich die erste
Farm auf dem Mond, in eine Glashütte verwandelt worden. Es
war ganz einfach: Man beschickte die Anlage an einem Ende mit
Regolith, setzte ihn Sonnenhitze aus und zog am anderen Ende rot
glühendes Glas heraus, das dann zu Fertigteilen geformt
wurde.
»Jedes Mal, wenn ein Journalist zu mir durchkommt,
stellt er mir die gleiche verdammte Frage«, sagte Bud.
»Wieso wir die Struktur des Schilds aus Mondglas fertigen?
Und jedes Mal muss ich dieselbe Antwort geben: Weil das der Mond
ist. Und so schön er auch ist, der Mond lässt einem
keine große Wahl.«
Die eigentümliche Zusammensetzung des Mondes
erklärte sich durch seine Entstehung. Die NASA-Geologen, die
die ersten von den Apollo-Astronauten mitgebrachten Proben
untersuchten, hatten zu ihrer Verwirrung festgestellt, dass
dieses Zeug – das kein Eisen und flüchtige Stoffe
enthielt – sich deutlich vom Gestein der Erdkruste
unterschied. Es glich eher dem Material des Erdmantels, der
dicken Schicht zwischen Kruste und Kern. Wie sich dann
herausstellte, bestand der Mond aus dem Mantel der Erde
– beziehungsweise aus dem großen Brocken, der bei dem
urzeitlichen Einschlag herausgebrochen worden war und fortan als
›Mond‹ die Erde umkreiste.
»Also müssen wir uns mit dem begnügen, was wir
vorfinden«, sagte Bud. »Eruptivgestein macht hier
neunzig Prozent der Kruste aus. Es ist, als ob wir lernen
würden, uns auf dem Hang des Vesuvs einzurichten. Und es
gibt praktisch kein Wasser, wenn Sie sich erinnern. Ohne Wasser
kann man zum Beispiel keinen Beton erzeugen.«
»Deshalb Glas.«
»Deshalb Glas. Siobhan, Glas ist ein Mond-Naturprodukt.
Wo auch immer ein Meteor niedergeht, schmilzt der Regolith, und
überall wird Glas verspritzt. Also verwenden wir das.
Und das da ist das Endprodukt.« Mit einer theatralischen
Geste wies er auf Glasbauteile – von denen ein paar
mehrfach mannshoch waren –, die in einem improvisierten
Lager im Vakuum gestapelt
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