Sonnentaucher
ersten Bauerndörfer... Städte... Super-Metropolen... alles dies drängt sich in einem Bruchteil der evolutionären Zeitskala – in bloßen zehntausend Jahren.
- J OHN E. P FEIFFER
21. Deja pense
»Haben Sie sich je gefragt, wieso die meisten unserer interstellaren Schiffe mit Besatzungen reisen, die zu siebzig Prozent aus Frauen bestehen?«
Helene reichte Jacob die erste LiquiTube mit heißem Kaffee und wandte sich wieder dem Automaten zu, um sich selber auch eine zu ziehen.
Jacob schälte die Außenbeschichtung der halbdurchlässigen Membran ab und ließ den Dampf hervorquellen, während die dunkle Flüssigkeit drinnenblieb. Trotz der Isolierung war die LiquiTube fast zu heiß zum Anfassen.
Das paßte zu Helene – schon wieder fiel ihr ein so provokantes Gesprächsthema ein. Wann immer sie miteinander allein waren – so allein, wie man auf dem offenen Deck eines Sonnenschiffs nur sein konnte –, hatte Helene daSilva noch nicht eine einzige Gelegenheit ausgelassen, ihn in geistige Gymnastik zu verwickeln. Merkwürdig war nur, daß er nicht das geringste dagegen einzuwenden hatte. Dieser Wettstreit hatte seine Stimmung erheblich verbessert, seit sie zehn Stunden zuvor den Merkur verlassen hatten.
»Als ich ein kleiner Junge war, kümmerten wir uns wenig um die Gründe, meine Freunde und ich. Wir dachten, es sei ein zusätzlicher Bonus für die Männer an Bord der Schiffe. ›Aus solchen Gedanken entspringen die Phantasien der Pubertät...‹ Wer hat das noch gleich geschrieben? John Two-Clouds? Haben Sie je etwas von ihm gelesen? Ich glaube, er stammte aus High London. Vielleicht haben Sie seine Eltern gekannt.«
Helene reagierte mit einem vorwurfsvollen Blick. Zum x-ten Male mußte Jacob gegen die Versuchung ankämpfen, ihr zu sagen, daß dieser Blick bezaubernd sei. Er war es – aber welche erwachsene, professionelle Frau wollte schon daran erinnert werden, daß sie Grübchen hatte? Einen gebrochenen Arm war es jedenfalls nicht wert.
»Okay, okay.« Er lachte. »Ich bleibe beim Thema. Ich nehme an, die Männer-Frauen-Relation hat etwas damit zu tun, daß Frauen auf starke Beschleunigung, Hitze und Kälte besser reagieren. Außerdem verfügen sie über eine bessere Hand-Augen-Koordination und über eine überlegene passive Kraft. Ich schätze, dies alles zusammen macht sie zu besseren Astronauten.«
Helene nippte am Trinkröhrchen ihrer LiquiTube. »Ja, alles das hat damit zu tun. Außerdem scheinen Fems auch häufiger gegen die Sprungkrankheit immun zu sein. Aber Sie wissen, daß der Unterschied in allen diesen Punkten so groß auch wieder nicht ist. Nicht groß genug, um die Tatsache zu kompensieren, daß sich mehr Männer als Frauen für die Raumfahrt bewerben. Außerdem – im System-Innenverkehr bestehen die Besatzungen zu mehr als fünfzig Prozent aus Männern, und auf den militärischen Schiffen ist das Verhältnis sogar sieben zu drei.«
»Nun, bei Handels- und Forschungsschiffen kenne ich mich nicht aus, aber das Hauptkriterium beim Militär, denke ich mir, ist die Kampffähigkeit. Ich weiß, daß es immer noch nicht bewiesen ist, aber ich glaube...«
Helene lachte. »Oh, Sie brauchen gar nicht so diplomatisch vorzugehen, Jacob. Natürlich sind Mels bessere Kämpfer als Fems – das heißt, statistisch gesehen. Amazonen wie ich sind eine Ausnahme. Es ist tatsächlich einer der Faktoren bei der Auswahl. Wir wollen nicht allzu viele Kriegertypen an Bord der Sternenschiffe haben.«
»Aber das ist unvernünftig! Die Besatzungen der interstellaren Schiffe fahren hinaus in eine unermeßliche Galaxis, die nicht einmal von der Bibliothek bis jetzt restlos erforscht worden ist. Sie haben es mit einer ungeheuren Vielfalt von Alienvölkern zu tun, von denen die meisten ein höllisches Temperament haben. Und die Institute verbieten nicht, daß verschiedene Rassen miteinander kämpfen. Nach allem, was Fagin sagt, könnten sie es nicht einmal, selbst wenn sie es wollten. Sie versuchen nur, dafür zu sorgen, daß es dabei sauber zugeht.«
»Also muß ein Raumschiff mit Menschen an Bord jederzeit damit rechnen, in einen Hexenkessel zu geraten?« Helene lächelte und lehnte sich mit der Schulter an die Kuppelwand. In dem fleckigen, roten Hydrogen-Alpha-Licht der oberen Chromosphäre sah ihr blondes Haar aus wie eine enganliegende Kappe. »Nun, da haben Sie natürlich recht. Wir müssen in der Tat kampfbereit sein. Aber denken Sie mal für einen Augenblick über die Situation nach, mit der wir es da
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