Sonnentaucher
draußen zu tun haben. Wir haben mit buchstäblich Hunderten von Spezies umzugehen, die nur eines miteinander gemeinsam haben, und zwar das, was uns fehlt: eine Kette aus Tradition und Uplift, die zwei Milliarden Jahre weit zurückreicht. Sie alle benutzen seit Äonen die Bibliothek, und während dieser Zeit haben sie alle, wenn auch langsam, zu ihr beigetragen. Die meisten von ihnen sind schrullig und, was ihre Privilegien angeht, hypersensibel, und diese lächerliche ›Wölflingsrasse‹ von Sol betrachten sie mit Zweifel.
Und was können wir tun, wenn irgendeine halbgare Spezies uns herausfordert, deren inzwischen ausgestorbene Patrone sie zu gehorsamen, sprechenden Reittieren geliftet hat und der zwei kleine, terrageformte Planeten gehören, die rechts und links von der einzigen Route zu unserer Kolonie auf Omnivarium liegen? Was können wir tun, wenn diese Kreaturen, die weder Ehrgeiz noch Sinn für Humor besitzen, unser Schiff stoppen und unglaubliche vierzig Walgesänge als Wegezoll verlangen?«
Helene schüttelte den Kopf, und ihre Brauen zogen sich zusammen. »Wäre es nicht hübsch, in einem solchen Moment einen Kampf vom Zaun zu brechen? Eine gewaltige Schönheit wie die Calypso, randvoll mit Dingen, die eine hart arbeitende kleine Kolonistengemeinde dringend benötigt, und mit einer noch kostbareren Fracht von... mitten im All gestoppt von zwei winzigen uralten Klapperkisten, die die ›intelligenten‹ Kamele an Bord offensichtlich gekauft und nicht selbst gebaut haben!« Die Stimme der Frau klang gepreßt, als die Erinnerung erwachte. »Stellen Sie sich das vor! Dieses Schiff, neu und wunderschön, aber primitiv – denn nur der winzige Bruchteil galaktischer Wissenschaft, den wir hatten aufnehmen können, war verwendet worden, als wir es umbauten, hauptsächlich im Bereich der Antriebstechnik –, aufgebracht von Vehikeln, die älter sind als Cäsar, aber gebaut von Leuten, die ihr Leben lang mit der Bibliothek umgegangen sind.«
Helene verstummte und wandte sich ab.
Jacob war bewegt, aber vor allem fühlte er sich geehrt. Er kannte Helene inzwischen gut genug, um zu wissen, was für ein Akt des Vertrauens es war, wenn sie so offen von sich erzählte.
Und sie hat bisher das meiste getan, begriff er. Sie stellt die meisten Fragen – über meine Vergangenheit, meine Familie, meine Gefühle –, Fragen, die zu stellen mir aus irgendeinem Grunde schwerfällt. Was ist es nur, das mich abhält? Da muß so viel in ihr verborgen sein!
»Wahrscheinlich heißt das, es sei besser, nicht zu kämpfen, weil wir wahrscheinlich verlieren würden?« stellte er ruhig fest.
Sie drehte sich um und nickte. Dann hustete sie zweimal hinter der geballten Faust.
»Oh, wir haben schon ein paar Tricks, mit denen wir vielleicht eines Tages mal jemanden überraschen können – einfach weil wir die Bibliothek nicht hatten und weil sie sonst nichts kennen. Aber diese Tricks müssen wir uns für schlechte Zeiten aufheben. Statt dessen behelfen wir uns mit Schmeicheleien, Schöntuerei, Bestechung, spirituellem Singsang... Steptanz... und wenn das nicht hilft, dann nehmen wir die Beine in die Hand.«
Jacob stellte sich vor, mit einer Schiffsladung Pila zusammenzutreffen.
»Es muß manchmal schrecklich schwerfallen wegzulaufen.«
»Ja, aber wir haben eine geheime Hilfe, cool zu bleiben.« Helenes Miene erhellte sich ein wenig. Für einen Moment erschienen wieder diese bezaubernden Vertiefungen an den Winkeln ihres lächelnden Mundes. »Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, daß die Besatzungen überwiegend aus Frauen bestehen.«
»Jetzt hören Sie aber auf. Eine Fern ist ebenso schnell wie ein Mel dabei, jemandem eins auf die Nase zu geben, wenn er sie beleidigt. Das ist keine überzeugende Garantie.«
»Nnnein, normalerweise nicht...« Sie beäugte ihn wieder mit diesem abschätzenden Gesichtsausdruck. Eine Sekunde lang schien es, als wolle sie weiterreden, doch dann zuckte sie die Achseln.
»Setzen wir uns«, sagte sie. »Ich will Ihnen etwas zeigen.«
Sie führte ihn um die Kuppel herum und über das Deck in einen Bereich des Schiffs, in dem sich niemand von der Besatzung und den Passagieren aufhielt, an den Rand des kreisrunden Decks, das in einem Abstand von zwei Metern von der Schiffswand schwebte.
Das funkelnde Glühen der Chromosphäre brach sich geisterhaft, wo der Stasisschirm sich unter ihren Füßen fortkrümmte. Das schmale Suspensionsfeld ließ das Licht durchdringen, verzerrte es jedoch ein
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