Sonnenwanderer
an sie und dann an Dodger gewandt, als wolle er einem Pflichtgefühl gegenüber der Autorität Genüge tun. »Tut mir leid, Gnädigste, unendlich leid«, hatte er höchst selbstzufrieden gesagt.
»Es geht weiter!«, hatte Professor Xavier da gerufen. »Nach rechts, glaube ich, wenn Sie bereit sind.« Und überall zwischen dem Abfall kam jemand müde auf die Füße.
Der Tunnel brachte sie in eine Höhle, wo sich ein bierfarbener Strom über flache graue Matrixplatten stürzte, die so hart wie Stein waren. Sie wateten ans andere Ufer und folgten ihm durch eine brusthohe Öffnung in eine andere Kaverne, die im Schlick versank. Sie richteten sich auf, sahen sich um. Sie standen am Ufer eines schmutzigen Reservoirs. Aus den seichten Stellen erhoben sich karge Büschel eines binsenartigen Grases, das in Spinnweben gehüllt war. Auf der Oberfläche schwammen große Inseln eines schwarzbraunen Mooses.
»Ziemlich stärkehaltig«, sagte Johanna fröstelnd.
Xtaska war total außer Reichweite. Trotzdem waren die Kartenträger zufrieden. »Cisterna Magna«, verkündeten sie. Die Lampen zeigten Tatzenabdrücke im Morast rings um den Sumpf und eine Unmenge Kot, der an versteinerte Fünfcent-Zigarren erinnerte.
Die Sologatos in ihren fahlgrünen Overalls knieten sich auf den Boden und untersuchten die Exkremente. »Keine Kecks«, wurde dem Professor versichert. »Was nicht heißt, dass es hier keine gibt«, bemerkte der andere. Die Exobiologen hatten das Verhalten dieser boshaften kleinen Geschöpfe mit einer
Mischung aus Angst und wissenschaftlicher Neugier verfolgt. Über Ursache und Sinn desselben wurde immer noch leidenschaftlich spekuliert. Sie fuhren die Auflösung ihrer Digitalmikroskope hoch und riefen ihre Kinder vom Rand der Zisterne zurück.
Die Karawane stapfte am verkrusteten und trügerischen Ufer entlang und versuchte den Rinnsalen und Nebenflüsschen zu entgehen. Geneva platschte jedes Mal mitten hinein, sie war sauer. Sauer über den Verlust an Ausrüstung und unersetzlichen Aufnahmen. »Wir hatten doch nichts Böses vor«, sagte sie immer wieder. »Tiere. Was anderes sind sie nicht.« Plötzlich drehte sie sich um, beschwerte sich bei ihrer Kamerafrau. »Sie hätten ihr eigenes Vierzig-Minuten-Feature haben können, wenn sie nicht endlos verhandelt hätten.«
»EIN BLICK AUF DIE KECKS«, sinnierte Elise. »UNTER-BODENFAUNA.«
»Atavismus«, sagten die Sologatos jedem, der es hören wollte. »Eine Rechtfertigung von Spengler?«, regte der eine an. »Eher von Skinner«, wandte der andere ein. Die Doktoren fassten einander scharf ins Auge.
Dodger Gillespie wusste, beim nächsten Halt würde sie einen Seitenkrampf bekommen. Verstört von Schmerz und Erschöpfung strauchelte sie über eine halb verschüttete Belüftungsöffnung, und scheuchte ein weißes Rattenmännchen auf, das alles in allem gut fünfzig Zentimeter lang war; doch von blassbraunen Frauen im langen Ledermantel, die sich mit Diebesgut abschleppten, war weit und breit nichts zu sehen.
Ihre Freundin Johanna, die schließlich froh war, dass ein Jäger sie an der Tragbahre ablöste, kam zurückgelaufen und legte einen Arm um Dodger.
Dodger zuckte. »Jesus, Mädel, mach langsam.«
»Oh, Mist, tut mir leid, ich wollte nur helfen«, sagte Johanna atemlos.
»Machst du das noch mal, kannst du mich dazulegen. Wie geht es ihr?«
Johanna zuckte die Schultern. »Ich glaube kaum, dass sie durchkommt«, sagte sie heiser; ihre hübschen Augen glitzerten, starrten ins Leere.
»Komm«, sagte Dodger und klopfte ihr unbeholfen auf die Schulter. »Heul, wenn du willst.«
»Lass mich«, sagte Johanna grimmig und trat beiseite. »Es ging mir richtig gut.« Sie schnäuzte sich durch Daumen und Zeigefinger. »Wenn er wollte, konnte er ein richtiger Macho sein. Aber ich vermisse Ronald, verstehst du …?«
»Verstehe«, sagte Dodger. Johanna legte wieder den Arm um sie, vorsichtiger diesmal. Zusammen wankten sie weiter.
Die Expedition kam an ein Leck, vielleicht war es auch eine Art Abfluss oder Ventil, aus dem sich kalkiges Wasser in einem großen Fächer über die ganze Uferlandschaft ergoss. Das Wasser hatte die Oberfläche der Matrix abgetragen und gewaltige Knäuel steifer, dicker rötlicher Fasern freigelegt, die an stark vergrößertes Pferdehaar erinnerten. Die Sologatos hatten neben einem solchen Knäuel Stellung bezogen und sprachen jeden an, der vorbeikam. Der eine zeigte auf die Fasern, die von winzigen schwarzen Fleckchen wimmelten.
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