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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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nicht, dass sie keinen Schwanz hatte. Sie presste die Tragetasche an sich und seufzte wimmernd. Es war das denkbar kleinste Geräusch und hatte sich ohne ihr Zutun Luft gemacht.
    Sein Nackenpelz kribbelte.
    Kenny streckte die Hand nach unten. »Komm«, sagte er streng. Er blickte sie nicht an, sondern in die Richtung, aus der er gekommen war.
    Da schluckte die Besucherin und sagte: »Ich habe ein Geschenk für Käpt’n Jute.« Die Worte waren rauschig und schienen aus Ohren und Nüstern zu kommen, als traue sie sich nicht,
den Mund aufzumachen. Sie hielt den Kopf niedrig, aber gerade, unentwegt Ausschau haltend. Sie hatte lange, wunderschön gesprenkelte Wimpern.
    Sie nahm einen kleinen Zellophanumschlag aus der Tragetasche. Er nahm ihn entgegen und bedankte sich im Namen von Käpt’n Jute. Vermutlich hätte sie das Geschenk lieber selbst überreicht, sagte aber nichts dergleichen. Als er sie zur Straße zurückbrachte, war sie gefügig, nur ihre Augen flehten.
    »Im Netz gibt es eine Tour durch ihr Apartment«, sagte er.
    »Die habe ich mir angesehen«, sagte sie. »Du hast Glück, dass du hier arbeiten darfst.« Sie sprach schnell. Ihr Akzent sang ihm von zu Hause, von hohen Bäumen und weiten gelben Horizonten. Er spürte den Puls in ihrem Handgelenk, pochend wie das Herz eines Vogels. Sie zitterte noch immer. Ihre Angst machte Appetit.
    Kenny nahm den Kopf zurück, machte einen steifen Hals. »Meine Arbeit besteht darin, dich aus dem privaten Bereich von Käpt’n Jute zu entfernen«, sagte er; doch seine Augen glühten; seine Nüstern bebten.
    »Du heißt Kyfyd, obwohl sie dich Kenny nennen«, sagte sie schnell. »Du hast Glück. Käpt’n Jute ist eine« - sie war fast außer Atem, so schnell redete sie - »glückliche Frau.«
    »Wo wohnst du?«, fragte er.
    Sie zuckte die Schultern. »Mein Herr …«, sagte sie leise, konnte den Satz aber nicht beenden.
    Kenny hatte den Zellophanumschlag befühlt.
    »Richte ihm unseren Dank aus«, sagte er.
    Sie gab keine Antwort. Sie schubberte ihr Kinn an der Schulter.
    »Geh jetzt«, sagte er; und sie ging unverzüglich, trabte über die Brücke davon. Sie floh wie vor einem schrecklichen Ort,
ohne zu zaudern, weil sie sonst über die Schultern blicken und verloren sein würde.
    Kenny sah ihr nach. Auf seinem großen Handteller ihr winziges Geschenk. Ein Umschlag mit sechs kleinen weißen Pillen, Käpt’n Jutes Lieblingspillen.
     
    Die Docks lagen wie ausgestorben, alles war still, außer Betrieb und sollte erst wieder zum Leben erwachen, wenn die gute alte Plenty ihr Comeback feierte. Nur der schwache Schein der Biofluoreszenzröhren glomm zwischen den verrußten Portalkränen, zeichnete die Treibstoffleitungen nach und die Kanten von Kühlwasserdrainagen. Zu Silhouetten erstarrte Lastenaufzüge hatten büschelweise Kabel im Schlepptau, als hätten sie beim Hochfahren ganze Knäuel von Kletterpflanzen ausgerissen. Die Schrantin hangelte sich aus einem leeren Treppenhaus und ließ sich auf den Schaumsteinboden fallen, ihre Sandalen klangen wie kurzer Hufschlag. Sie bückte sich durch einen niedrigen Tunnel hindurch und überquerte eine schmale, hoch gelegene Insel zwischen zwei riesigen, schwarz verbrannten Strahlgruben. Hoch über ihr dräuten die aufgereihten Parkbuchten wie Honigwaben feindseliger Riesenbienen.
    Sie blieb stehen und spitzte ein Ohr. Sie vernahm das Geräusch kleiner, schwer arbeitender Maschinen. Dann hörte das Geräusch mit einem Knall auf und machte einem Knirschen und Schaben Platz.
    Die Schrantin kletterte über einen Grat aus Matrix. Aus dem niedrigen, breiten Eingang vor ihr flutete das Licht von Bogenlampen. Von dort stammten auch die Geräusche. Sie eilte hindurch.
    Drinnen war eine Art Werkstatt oder Magazin, unfertig, unbenutzt. Betonpfähle, aus denen verbogene und verrostete
Armierungseisen ragten, erinnerten an Bäume, wie sie ein Vierjähriger malt. Große, undeutliche, aber regelmäßig wiederkehrende Flecken waren in den Boden gebleicht. Die Drainagen am Grund der flachen Gruben waren schwarz verkrustet. Es roch nach uralten Reinigungsmitteln.
    »Ah, Jogo«, sagte er. »Da bist du ja.«
    Der Mann war so makellos wie immer. Sein grauer Feinkordanzug und das weiße Hemd schienen Staub und Schmutz perfekt abzuweisen. Mit den winzigen schwarzen Gläsern der Schutzbrille ähnelte er einem verwöhnten Rieseninsekt, das sich zum Erben aller verwaisten Depots erklärt hatte. Er amüsierte sich gerade mit einem Steuerhandschuh, ließ drei

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