Sonnenwende
was Tolles!«
Helen wollte nicht die verzickte Emanze geben, aber zurückstecken wollte sie auch nicht, auf keinen Fall: »Das bestreitet ja gar niemand, aber …«
»… aber Scheißdreck. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich es leid bin, mich für meine Geilheit schuldig fühlen zu sollen. Und außerdem:
Ihr
wollt doch auch immer nur das eine!«
|138| »Ach ja? Und was soll das sein?«
»Ihr wollt verehrt, getröstet, geliebt und vor ALLEM …« – er breitete die Arme aus – »VERSTANDEN werden.«
»Du hast ja keine Vorstellung …«
»…
Du
hast keine Vorstellung! Du hast keinen blassen
Schimmer
davon, wie man als Mann zu heucheln gezwungen ist. Erst mal muss man euch anquatschen, da seid ihr euch nämlich zu fein für. Dann darf man euch ins Kino einladen – wenn man Glück hat. Und nicht in irgendeinen Film, o nein! Etwas fürs Herz muss es sein: ›Liebe mich‹, oder ›Tröste mich!‹, oder ›Nimm-mich-in-den-Arm-ich-bin-eine-Frau-und-suche-nach-LIEBE!‹« (Von hier an Crescendo bis zum Schluss.) »Geistreich, witzig und charmant muss man sein, und, nicht zu vergessen, sonst geht nämlich
gar
nichts, VERSTÄNDNISVOLL!«
»Du bist so ein Arschloch!«
»Und du kannst die Wahrheit nicht vertragen.«
Und die ganze Zeit saß Tom zwischen ihnen, so oder so.
Wladimir ging schwimmen. Nach dieser Nummer musste er sich abreagieren. Nicht, dass er Helen vorher gemocht hatte, aber sie war ihm auch nicht unsympathisch gewesen. Toms Freundin halt. Bisschen komisch und etwas zu alt für seinen Geschmack, aber das war Toms Problem, nicht seins. Zog die so eine Show ab. »Frauensüchtig.« Unglaublich!
Am Ufer stand ein nackter Mann, der nicht müde wurde, seinen Hund zum Apportieren ins Wasser zu schicken. Wladimir war angeekelt. Er hatte noch nie verstanden, weshalb manche Menschen anderen ihre Nacktheit aufdrängen mussten. Und sich dann auch noch das Wasser, in dem man schwimmen wollte, mit Hunden teilen zu müssen – da konnte er ihnen ja gleich den Arsch abwischen. Er schwamm mit hoch erhobenem Kopf und tauchte erst unter, als er den |139| Hund in keimsicherer Entfernung wusste. Ein Fisch müsste man sein, dann könnte man jetzt den ganzen Tag im Wasser bleiben und müsste sich über nichts Gedanken machen. Stattdessen ließ man sich von so einer Furie den Tag versauen.
Helen und Tom saßen schweigend nebeneinander. Schon lange hatte sie sich wieder auf ihr Territorium zurückgezogen. Der winzige Grasstreifen zwischen ihren Badetüchern war Niemandsland, vermint, undurchquerbar. Als Helen kurz davor war, in Tränen auszubrechen, sah Tom aus dem Augenwinkel jemanden auf sie zukommen. Es war Elsa, die aussah, als würde sie dem Jüngsten Gericht vorstehen. Tag der Abrechnung, dachte Tom. Perfektes Timing. Und dann: Das ist das Ende. Seit Stunden musste sie auf ihrem Handtuch geschmort und den richtigen Zeitpunkt abgewartet haben. Ihre Brust bebte vor Aufregung. Sie war immer noch verletzt, und, ganz ehrlich, Tom tat es wirklich leid, aber das half jetzt auch nichts mehr. Sie hatte sich etwas zurechtgelegt, das nicht herauskommen wollte, schließlich sagte sie mit gepresster Stimme: »Ach, Tom, grüß doch bei Gelegenheit deinen toten Zwillingsbruder von mir, du Arschloch. Und Wladimir kannst du auch gleich grüßen, hoffentlich werdet ihr beide vom Blitz erschlagen.«
Mit diesen Worten machte sie kehrt und ging zu Mimi zurück, die das Intermezzo voller Schadenfreude verfolgt hatte. Der reinste Meteoritenschauer heute.
Helen: »Vergiss es. Noch so eine Geschichte ertrage ich heute nicht. Ich muss sowieso los.«
Tom war erleichtert, sich nicht noch eine Ausrede einfallen lassen zu müssen. Helen kämpfte sich in ihre Schuhe – neue Schuhe, mit Absätzen, wie sie ihr sonst zu hoch waren –, stand auf, strich sich den Rock glatt, faltete ihr Handtuch und klemmte es unter den Arm.
»Ist vielleicht ganz gut, dass ich gehen muss, dann behindere |140| ich wenigstens niemanden bei seinen Aktivitäten«, sagte sie, und so, wie sie diese Worte jetzt vor seine Füße warf, leuchtete hinter ihnen eine Befriedigung auf, die Tom sprachlos machte. Als sei sie nur gekommen, um ihn verachten zu können. Entschlossen marschierte sie davon. Zum Glück war Wladimir noch im Wasser, so musste sie sich nicht auch noch von dem verabschieden. Sollte er BRAVO lesenden Schulmädchen nachgeifern, bis ihm der Sabber die Kinnlade heruntertroff.
Tom blickte ihr wehmütig nach. Was war denn heute nur los? Er war doch der
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