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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Vornamen. Achtzehnfünfundsiebzig bis neunzehnirgendwasdreißig. Klein. Sehr klein. Mochte Hunde, die noch kleiner waren als er. Komisches Wort, nicht? Infantin. Möchte zu gerne wissen, wer sich das ausgedacht hat. Gibt ’ne nette Anekdote zu dem Stück.«
    Und er erzählte ihr die wundervolle Geschichte, wie Hemingway das Stück zufällig bei einer Geburtstagsfeier gehört und sofort entschieden hatte, dass dieses – und nur dieses – Stück später auf seiner Beerdigung gespielt werden sollte, und wie es dadurch berühmt geworden war.
    »Und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Klavier spielen?«
    »Willst du nicht aufhören, mich zu siezen? Ich bin Wladimir.«
    |146| Er war so unkompliziert, es war richtig befreiend. Nicht so … vergeistigt, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, aber trotzdem irgendwie außergewöhnlich. So wie das Stück, das er vorhin gespielt hatte. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er ihr etwas vorspielte. Nur für sie. Aber das traute sie sich dann doch nicht.
    »Ich bin Ada. Dann also: Was machst
du
, wenn du nicht gerade Klavier spielst?«
    »Ich vernachlässige mein Studium.«
    »Was studieren … studierst du denn?«
    »Du meinst, was studiere ich nicht: Luft- und Raumfahrttechnik.«
    »Oh, wie schön.«
    »Was, dass ich es schleifen lasse?«
    »Nein, dass du es studierst, meine ich.«
    »Tu ich ja nicht.«
    »Ja, aber eigentlich studierst du es doch.«
    »Hm.«
    »Luft- und Raumfahrttechnik, meine ich.«
    »Ja, ist klar.«
    »Und das ist doch schön.«
    Wladimir fragte sich, was daran besonders schön sein sollte. Er wusste nur, dass es niemals zu Ende ging, und das fand er weniger schön.
    »Ich weiß nicht. Wenn du meinst.«
    »Du bist ein Mann, der nach den Sternen greift.«
    Er musste lachen: »Eher einer, der andere auf den Mond schießt.«
     
    Als sie wieder in ihrer Wohnung war, bekam sie ihre Tage. Hätte sie sich denken können. Ihr Menstruationszyklus war das reine Chaos. Er folgte nur einer Regel: Es passierte immer, wenn sie im Stress war.
    |147| Das erste Mal hatte sie ihre Tage bekommen, als Oma gestorben war. Da stand sie neben dem Grab, und plötzlich merkte sie, dass ihr Schlüpfer ganz feucht und klebrig war. Vor Scham hatte sie so getan, als könne sie den Anblick des Sarges nicht ertragen, und war weinend davongelaufen. Oma war ihre beste Freundin gewesen – jetzt irgendwie sogar noch mehr. Danach passierte monatelang erst mal gar nichts.
    Einmal hatte sie am Ku’damm auf dem Bürgersteig gestanden und überlegt, wo sie etwas zu trinken kaufen könnte, als ein Mann im Vorbeigehen den Kopf wandte und sie anlächelte. Sie musste ihm gefallen haben, und er schämte sich nicht dafür. Sie konnte gar nicht reagieren, so überrascht war sie. Später kaufte sie sich an einem Zeitungskiosk eine kleine Flasche Wasser. Der Verkäufer sagte: »Gute Entscheidung. Eine schöne Pflanze muss genügend Wasser haben, sonst geht sie ein.«
    Er hatte Ada gemeint, sie war ganz durcheinander. Warum sollte jemand sie schön finden? Ausgerechnet sie. Und doch war es so. Vor lauter Glück ging sie essen. Der Salat, den sie bestellte, war sandig – furchtbar. Die Tomaten hart, der Schafskäse alt, das Dressing viel zu ölig. Aus Angst, sich rechtfertigen zu müssen, wagte sie nicht, ihn zurückgehen zu lassen. Sie würgte ihn bis auf einen entschuldbaren Rest hinunter und fühlte sich ganz schrecklich dabei. Endlich zu Hause, war ihr Schlüpfer getränkt von schmierigem Blut.
     
    Als Ada am Nachmittag die Stufen zum Labor hinabstieg, war sie dankbar für die Kühle im Keller. Sie hatte sich umgezogen, Haube und Handschuhe übergestreift, und wollte mit dem Zentrifugieren der ersten Proben beginnen, als sie Stimmen vor ihrer Tür hörte, und Schritte. Seltsam. Um diese Zeit kam sonst höchstens mal ein Pfleger, der ein überflüssiges Bett abstellte. Dann hörte sie plötzlich Gestöhne und das Knarzen |148| eines Bettgestells, das bewegt wurde. Schließlich konnte sie nicht widerstehen und öffnete ganz leise die Tür einen Spaltbreit. Da sah sie die beiden auf einem ausrangierten Krankenbett, das zur Abholung im Flur stand.
    Die haben gar nicht gemerkt, dass sie da war. Es war ein langer Flur, und ganz kahl. An den Wänden gab es lauter Striemen, weil sie immer beim Rangieren mit den Betten dagegenstießen. Das Licht war komisch, so trüb, Ada musste die Augen zusammenkneifen. Trotzdem leuchtete es in jeden Winkel.
    Sie hatte noch nie gesehen, wie jemand Sex machte. Der Mann

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