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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Letzte hier, der mit diesem ganzen Party-Lifestyle-Körperkult-Szene-Mist irgend etwas zu tun hatte. Koksende Partyhopper, selbstausbeuterische Trendmiezen, Rolex, Pomade im Haar und neulich bei Kerner seine Titten ins Bild gehalten und sich selbst beweihräuchert – das interessierte ihn doch alles gar nicht. Das war nicht er! Alles, was er in den letzten acht Jahren verbockt hatte, kam an einem Tag auf ihn zurück, und das, wo Helen neben ihm lag. Dabei wollte er doch nur eine Frau, die ihn liebte, einen Job, der ihn nicht frustrierte, und eine Familie. Offenbar hatte er nichts von dem, was er wollte, und alles von dem, was er nicht wollte – und das nicht zu knapp.
    Wladimir kam aus dem See. Er hätte den direkten Weg wählen können, schlenderte aber über N 6, wobei er die Gelegenheit nutzte, seiner Sommersprossenphantasie im Vorbeigehen »hi« zu sagen, die ihm ein reflexartiges Lächeln schenkte und trotz ihres zarten Alters genau wusste, was lief.
    Er setzte sich die Sonnenbrille auf und legte sich wieder auf sein Handtuch. Nach kurzer Bedenkzeit sagte er: »Es ist vorbei.«
    Tom: »Was ist vorbei?«
    »Die Finsternis. Alles wieder da, wir haben noch mal Glück gehabt. Wo ist eigentlich Helen?«

[ Menü ]
    |141| Ada
    Zum Frühstück hatte sich Ada ein Croissant geholt. Das machte sie sonst nicht, aber an diesem Morgen wollte sie sich etwas Gutes tun; ihr Vater hatte Geburtstag. Sie hatte Kopfschmerzen. Danke, Vater. Es war gerade noch auszuhalten. Sie würde ihn nicht anrufen, aber sie dachte an ihn. Das war ihre Art, ihm alles Gute zu wünschen. Mehr durfte er von Ada nicht erwarten.
    Bereits im Treppenhaus hatte sie ihren Nachbarn Klavier spielen hören – wie ein Geburtstagsständchen für ihren Vater. Die Musik war ihr entgegengekommen, als sie die Treppen emporgestiegen war. Sonst spielte er zu dieser Zeit nicht. Als Ada den Schlüssel ins Schloss schob, versiegte die Musik. Sie fürchtete schon, er habe aufgehört und würde sie mit ihren Kopfschmerzen alleine lassen. Doch dann spielte er ein Stück, so seltsam schön, dass es sich wie eine große warme Hand auf ihren Nacken legte. Eine Musik, die über jeden Zweifel erhaben war und alle Zeit der Welt zu haben schien. Genügsam verklangen die Harmonien, nur um in einer vollendeten Aufeinanderfolge wieder Raum für sich selbst zu schaffen. Als wären darin all die Antworten enthalten, nach denen man ein Leben lang halbherzig suchte.
    Als es vorbei war, stand sie immer noch im Flur, mit den Schlüsseln in der Hand. Dabei hatte sie doch frühstücken wollen. Sie nahm drei Cocktailtomaten aus dem Korb und viertelte sie. Vater wusste, dass sie nicht anrufen würde, trotzdem hoffte er darauf. Bei der dritten Tomate erwischte sie ihren Daumen. In einer Reflexbewegung warf sie das Messer |142| in die Spüle. Das Blut suchte sich einen Weg über ihre Handfläche. Der Schmerz war auszuhalten.
    Sie besah sich den Schnitt. Es würde gehen. Damit konnte sie arbeiten, sofern er ordentlich verbunden wäre. Zum Arzt musste sie damit nicht. Sie erwartete, dass ein intensiver Schmerz einsetzte, aber er kam nicht. Es blieb ein fernes Brennen. Nicht schlimm, eher angenehm fast. Es gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein, sie selbst zu sein. Es war
ihr
Schmerz. Ihr Kopfweh war nun auch nicht mehr so stark. Als könnte das austretende Blut den Druck in ihrem Kopf lindern.
    Um den Boden nicht zu besudeln, wickelte sie sich ein Handtuch um den Finger, bevor sie im Bad auf die Suche nach Verbandszeug ging. Die Musik war verklungen. Über ihr rauschte Wasser, er musste im Bad sein. Sie wusste noch immer nicht, wie er aussah. Pflaster. Sie hatte nur Pflaster. Das würde zwar mit Mühe den Schnitt abdecken, ihn aber sicher nicht auf Dauer zusammenhalten. Am Nachmittag würde sie zur Arbeit gehen, dort gab es jede Menge Verbandszeug. Aber bis dahin konnte sie schlecht ihren Daumen mit einem Handtuch umwickelt halten.
    Sie konnte ihren Nachbarn fragen. Warum nicht? Er würde ihr helfen. Natürlich würde er das. Sie hatte zwar noch nie einen Nachbarn um etwas gebeten, aber bei ihm konnte sie es wagen. Und sie musste nicht fürchten, wortlos vor ihm zu stehen. Im schlimmsten Fall hielt sie ihm einfach ihren Daumen hin, er würde wissen, was zu tun war. Nervös ergriff sie ihre Schlüssel, biss sich einmal kräftig auf die Unterlippe und öffnete die Wohnungstür.
    Auf der Treppe kam ihr ein Mann in Latzhose entgegen. Er roch nach Holz. Im Vorbeigehen hielt sie den Kopf geneigt und

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