Sonnenwende
nicht. Ich schlafe mit keiner anderen.«
»Das soll ich dir glauben?«
»Natürlich sollst du mir das glauben, ich belüge dich nicht.«
»Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass du in all den Jahren, die wir jetzt zusammen sind, niemals fremdgegangen bist?«
»Was soll denn das jetzt? Wird das so etwas wie eine Generalabrechnung?«
»Was das soll? Ich will’s wissen, das ist alles. Kann doch nicht so schwer sein. Ganz einfache Frage: Hast du mich je betrogen?«
»Was ist denn mit dir los? Ich dachte, wir versuchen es mit einem gemütlichen Abend und einem schönen Essen, und bevor du überhaupt richtig da bist, wird hier die heilige Inquisition inszeniert.«
|177| »Hast – du – mich – je – be – trogen?«
Hatte er sie betrogen? War das betrügen? Einmal mit einer anderen ins Bett zu gehen?
»Wie meinst du das?«
»Wie ich das meine? Willst du mich für blöd verkaufen? Ob du mit einer anderen im Bett warst, will ich wissen!«
Also ja. Nach ihrer Definition – ja. Nach seiner – knifflig, er hatte keine. Helens Halsschlagader pulsierte, ihre Augen glühten: »Was ist los? Musst du so lange nachdenken, bis du weißt, ob du mit einer anderen im Bett warst, oder hast du Schwierigkeiten, sie zusammenzuzählen?«
»Ich verstehe nicht, was das soll?«
»Das musst du nicht. Sag mir einfach, ob du mit einer anderen gevögelt hast.«
Tom war wütend – und würde um eine Antwort nicht herumkommen. Es war also ganz einfach: lügen oder die Wahrheit sagen.
»Ja.«
»Ja?«
»Ja. Einmal. Du kennst sie nicht. Ich hab’ sie auf einer Party kennengelernt, es hat sich so ergeben. Du warst nicht da, und ich wollte Zuneigung. Mehr als Zuneigung. Das ist alles. Ich hab’ sie seitdem nicht wiedergesehen. Bist du jetzt zufrieden?«
Helen starrte an Tom vorbei ins Leere, gleich würde sie anfangen zu weinen. Es machte ihn aggressiv.
»Wann?«
»Noch nicht so lange her.«
»Arschloch. Du verdammtes Arschloch! Wieso hast du mir das angetan?«
Selber Arschloch, wieso fragst du danach?
»Ich hatte nicht das Gefühl, dir etwas anzutun. Ich wollte etwas
für
mich tun, nicht
gegen
dich.«
|178| »Du biegst dir immer alles so hin, dass du es vor dir entschuldigen kannst.«
»Ich hab’ versucht, es so hinzubiegen, aber es hat nicht funktioniert.«
»Die vom See. Es war diese Zicke vom See, stimmt’s? Die dich nach deiner Leiste gefragt hat.«
Das war unfair, die zählte nicht.
»Nein, die vom See kannst du vergessen.«
Möglichkeit Nummer drei: lügen
und
die Wahrheit sagen.
»Na wunderbar. Dann kann ich dir jetzt ja auch sagen, dass ich nicht von einem Seminar komme.«
»Sondern?«
»Nicht, was du denkst.«
»Was denke ich denn?«
»Du denkst, ich hätte mich mit einem anderen vergnügt.«
»Und, wo warst du?«
»Ich war in Dortmund – bei Elke. Ich musste zum Arzt.«
Tom kannte ihre Cousine. Helen und sie waren in Kindertagen eng befreundet gewesen. Er hatte sie ein paarmal auf Familienfesten gesehen. Sie war etwa in Helens Alter, attraktiv, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und außerdem erfolgreiche Anwältin. Eine Überfrau, die ihre menschliche Seite nicht vergessen hatte. Im Stillen hatte Tom manchmal gedacht … also, etwas mehr von dem Wesen ihrer Cousine hätte Helen nicht geschadet.
»Du fährst zu deiner Cousine, um zum Arzt zu gehen?«
»Ich wollte nicht, dass du etwas davon mitbekommst.«
»Wovon redest du?«
»Hast du es noch nicht kapiert? Ich war schwanger, deshalb war ich bei ihr. Ich hab’ es abtreiben lassen. Und nach dem, was du gerade gesagt hast, weiß ich, dass es richtig war. Und bevor du irgendwelche dummen Fragen stellst: Ja, es war von dir.«
|179| Sie wollte stark sein, aber es ging nicht. Sie fiel in sich zusammen. Regungslos starrte sie an ihm vorbei. So machte sie es immer, wenn sie weinte. Ihm ging es genauso: Er wollte stark sein, konnte aber nicht.
Was für ein beschissener Zufall! Ein einziges Mal nur hatten sie in den letzten Wochen miteinander geschlafen – nach diesem denkwürdigen Tag am See, als die Sonnenfinsternis ihm gleich noch diesen Meteoritenhagel beschert hatte. Helen hatte sich abends neben ihn gelegt und wortlos ihre Hand unter den Bund seiner Hose gleiten lassen. Als er sie fragend ansah, sagte sie nur: »Zieh dich aus.«
Es war einfach eine Anweisung gewesen.
Die ganze Zeit über hatten sie sich angesehen, auch als er kam. Es war gespenstisch gewesen. Wieder etwas, das er nicht verstanden hatte. Und ausgerechnet da musste
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