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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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gar nicht – lediglich ein stummes Staunen, daß dem so war.
    Seine Augen blickten verträumt, nachdenklich. »Nur … nicht töten, vielleicht. 's gibt Schlimmeres als sterben, sagt man. Besonders für Weiber. Kennst mich doch, Mann. Mir is gleich, wo ich meinen Nervenkitzel herkriege. Streng deine Phantasie an, ich lass' meine spielen. Werd' mich in Gedanken damit beschäftigen, in der Zelle – in der Gummizelle, die du im Geist schon für mich reserviert hast, kapito? Dann haben wir beide einen netten Zeitvertreib.«
    Meine Hand lag noch auf der Klinke, aber nun durchfuhr mich endlich ein wilder Impuls; ich wußte, daß ich den Revolver jetzt ziehen würde, daß mich nichts davon abhalten konnte.
    Wilby wartete ebenfalls.
    Und in seinem spöttischen, aber irgendwie leeren Grinsen und seinen blassen Augen, die höhnend und doch elend blickten, konnte ich seine Gedanken lesen. Er wollte sterben. Das war wohl schon seit Jahren sein Wunsch. Wie konnte er ihn besser verwirklichen, als mich durch Provokationen oder Drohungen dazu zu treiben, ihm die schmutzige Arbeit abzunehmen? Nicht nur durch die Hand eines Mannes zu sterben, sondern darüber hinaus im letzten Moment den absoluten Sieg zu genießen. Wenn ich ihn erschieße, dann bin ich – mit oder ohne den Brief in seiner Tasche – erledigt. Während mein Körper kaum den Urinstinkt des Tötens unterdrücken konnte, funktionierte mein Geist mit solcher Klarheit, daß er in Sekundenschnelle keinen Aspekt unbeachtet ließ, alle Konsequenzen erkannte.
    Meine Hand blieb schwer auf der Klinke liegen.
    »Und wer weiß, Casanova – wenn ich wieder draußen bin, hat die kleine Anne vielleicht ein Kind, dem du nichts Böses wünschst. Da könnt' ich alles mögliche anstellen.« Dann schüttelte er langsam in gespielter Trauer den Kopf. »Hab' dich gestern gewarnt. Keine Gnade.« Er forderte mich heraus, wollte mich reizen. Es nützte aber nichts mehr. Der richtige Augenblick war verstrichen.
    »Was sind Sie nun?« fragte ich. »Satan oder Gott?«
    Er lächelte. »Beides. Weil die beiden eins sind. Hab's dir doch erklärt, weißte nich?«
    Ich entsann mich durchaus. »Ich beschaffe das Geld und bringe es her. Aber wenn Sie dann nicht verschwinden –«
    »Ja, Mann?« erkundigte er sich träge. »Was dann?«
    »Dann kriegen Sie vielleicht, was Sie verdienen.«
    Wieder öffnete ich die Tür. Da sprang er mich von hinten an, krallte sich an meinen Schultern fest, schnaufte mich übelriechend an. »Haste jetzt Angst, Paps? Gestern nacht hab' ich Angst gehabt. Aber du jetzt?«
    Sein Griff schmerzte. »Ja«, gestand ich und fragte mich verschwommen, warum ich nicht entsetzter war. »Ja. Aber nicht halb soviel wie Sie.« Ein Echo meiner Wort von heute morgen.
    Er ließ mich los, trat mit einem aufflackernden Ausdruck von Verwirrung und Niederlage im Blick zurück. Wieder empfand ich weder Triumph noch Befriedigung. Er atmete schwer, und seine Arme hingen locker herab.
    Auf dem Weg zum Aufzug rief er mir nach: »Jetzt kommt's drauf an, Paps. Du oder ich.«
    Aber seine Drohung berührte mich nicht; hatte ich den Anschluß an das normale Leben bereits verloren? Wahrscheinlich war ich, irgendwann während der Nacht, über die Grenze geraten, die ich bisher für ganz deutlich sichtbar gehalten hatte, nun aber als undeutlich und wandelbar erkannte, die Grenze, die meinen Geist von Wilby trennte. Geoffrey war nicht im Dienst. Geoffrey, der Wilby nicht den Schlüssel übergeben hatte und der mich trotzdem zu erpressen versuchte. Wieder eine Ironie.
    Nachdem Terence ein Taxi herbeigepfiffen hatte, bedankte ich mich bei ihm, stieg in den Wagen und nannte meine Büroadresse – erledigte mechanisch die Gesten eines normalen Arbeitstages.
    Im Banne einer Lethargie, fast Apathie – sollte ich sie nicht irgendwie zu überwinden versuchen? –, begriff ich, was Wilby zu seinem neuen Vorhaben angestachelt hatte: nicht, daß ich mit dem Revolver drohte, nicht, daß ich seinen perversen Annäherungsversuch zurückwies, sondern einzig und allein jene zivilisationsbedingte menschliche Schwäche, die ich gezeigt und eingestanden hatte. Mitleid – was im allgemeinen als Anständigkeit gilt. Aber in seiner verdrehten Welt –
    Ich schloß die Augen.
    Das Autoradio. Sinfonie, Konzert, Sonate, Fuge? Ich hatte keine Ahnung. Musik. Wundervoll! Die Musik, die Lydia liebte. Und die mit ihr zu genießen ich mich geweigert hatte. Warum dachte ich an Lydia in der Vergangenheit? Und warum, um

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