Sonntag bis Mittwoch
gallenbitteren Geschmack im Mund. Das Zimmer drehte sich um mich. Schmerz durchfuhr mich, lähmte meine Beine, verkrampfte meinen Magen, und ich schaffte es nicht, mich aufzurichten.
Über mir schwebte Wilbys Gesicht, verschwommen in einer rötlichen Dunkelheit, die jede Sekunde wieder schwarz werden konnte. »Tut mir leid, Paps, mein Knie muß sich an deine Eier verirrt haben, oder umgekehrt –«
Ich unterdrückte ein Stöhnen: Ein Schrei würde mir nicht herausrutschen!
»Soll ich heile, heile Segen machen?«
Ich rückte ab, mir wurde schlecht.
»Vielleicht könnte Jenny heile, heile Segen machen, Mann –« Wilby hatte die Brille abgenommen, und ich sah zum ersten Mal seine Augen: ein leuchtendes, unergründliches Blau. Sein Gesicht wirkte nackt und fremd und hing wie ein Ballon über mir.
Trotz meiner Verfassung wurde mir nun klar, daß er mich absichtlich dazu verleitet hatte.
»Wilby«, mischte sich Jenny ein, »was hast du getan?«
Ich schloß die Augen und vernahm Wilbys Stimme, kindlich und fast klagend: »Alle sind gegen mich. Ich hätte Judo anwenden können, oder Karate. So ist es nun mal im Dschungel. Wennde im Dschungel lebst, mußte dich behaupten. Mann, ich hätte dich ebensogut umbringen können.« Dann fuhr er in spöttischer Selbstverteidigung fort: »Jenny, ich hätte den Mann fürs ganze Leben zum Krüppel machen können.«
Es war sehr dumm, daß ich mich so hatte hinreißen lassen: halb betrunken mich in meinem Alter mit so einem Ganoven anzulegen! Zumal ich, außer etwas Boxen im College, seit meiner Kindheit keinerlei Erfahrung in Raufereien hatte.
Der quälende Schmerz ebbte etwas ab, so daß ich wenigstens wieder Luft bekam. Ich schlug die Augen auf.
Ich erblickte Jenny. Ihr Körper war vorgebeugt, von einer merkwürdigen, sinnlichen Erregung erfüllt, ihre Augen funkelten und flackerten, und ihre Nüstern bebten. Mit war instinktiv klar, was ihre Gefühle in Wallung gebracht hatte: die Brutalität und meine Schmerzen. Ekel mischte sich mit meiner Übelkeit. Tiefe Abgründe taten sich auf. Das Telephon läutete.
Wilby schaute zur Diele hin, aber Jenny starrte mich weiterhin mit lüsterner Faszination an.
Es läutete wieder.
Da sagte Wilby: »Für mich ist es nicht, Paps. Ich hab' keiner Menschenseele verraten, wo ich bin.«
Jenny flüsterte unsicher, als suche sie Trost: »Wilby, du läßt doch –« Wieder schrillte der Apparat.
»Halt 's Maul«, fuhr Wilby sie an. »Kannste reden, Paps, oder sollen die Leute fragen, warum du mitten in der Nacht nicht zu Hause bist?«
Ich wich seinem ausdruckslosen, undefinierbaren Blick nicht aus. Mit Mühe kam ich auf die Beine.
Sadistisches Vergnügen glitzerte in seinen Augen.
Leicht vornübergebeugt durchquerte ich den Raum. Dies war meine Chance.
»Mumm, Jenny. Haltung. Siehste, der Mann hat doch Blut in den Adern.«
»Ja«, entgegnete Jenny sanft.
Schmerz durchzuckte mich, als ich mich neben dem Telephon in der engen Diele mit dem Rücken zu dem Pärchen niederließ. Wer es auch war, ich würde um die Hilfe der Polizei bitten und mich meiner Haut gegen diesen Lumpen wehren, ihn notfalls umbringen –
Wieder ein Klingeln, das ich unterbrach, als ich den Hörer abnahm. »Hallo.«
»Du bist also doch zu Hause!«
Anne. Ich konnte sie mir vorstellen, wie sie ungeduldig und besorgt am Telephon stand, mit ihrem mädchenhaften Gesicht, das nicht so ausgeprägt war wie Lydias, aber den gleichen Ausdruck von Sanftheit und Verletzbarkeit aufwies.
»Daddy? Bist du noch da? Hallo!«
Das war meine Chance.
»Ja, Anne«, antwortete ich. »Ich bin da.«
Es war meine Chance, und schlagartig wurde mir klar, daß ich sie nicht ergreifen konnte. Jedenfalls jetzt noch nicht, ehe ich nicht wußte, worauf das Ganze hinauslief. Mittlerweile war ich bereit, die Folgen auf mich zu nehmen. Aber Wilby meinte jedes Wort ernst. Ich konnte das Lydia und Anne nicht antun: darauf lief es schlicht und einfach hinaus. Es drehte sich nicht nur um den Skandal, sondern um die Zweifel, Verdächtigungen, den persönlichen Kummer und die öffentliche Schande. Ich konnte es nicht.
»Daddy?«
Der lauernden Stille hinter mir bewußt, sagte ich: »Ich bin erst seit ein paar Minuten zurück.« Hatte ich sie je zuvor angelogen? »Ich bin noch im Kino gewesen.«
»Hast du etwas gegessen?«
»Ja.« Wieder eine Lüge.
Nun verfiel sie in ihren neckischen Ton: »Ich kann mir schon denken, was du gegessen hast. So tiefgefrorenes Zeug, oder ein Sandwich. Du hast
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