Sonntag bis Mittwoch
kein Mann!
Ich hatte es vergessen.
Jenny nimmt 'nen Mann wirklich her, da biste ausgebrannt, was?
Wie konnte ich es vergessen haben?
Ich wandte mich nicht vom Fenster ab. Ich hatte Jenny nicht begehrt. Der Gedanke, mit Phoebe in ihre Wohnung zu gehen, hatte mich nicht in Versuchung geführt. Mir waren nicht einmal andere Frauen aufgefallen, auf der Straße, oder, wie jetzt, auf der anderen Straßenseite an den Fenstern.
Hatte Wilby also gesiegt? War dies nicht auf einer geheimnisvollen Ebene das, was er –
Der Summer ertönte. Ich stand wie angewurzelt.
Der Summer dröhnte weiter.
Um die Wahrheit zu sagen, Adam, ich kam mir zum ersten Mal alt vor. Nein, Lydia, nein! Das Zittern hatte sich gelegt. Ich ging zum Schreibtisch. Nein, Lydia, du nicht, du wirst nie –
Ich drückte die Sprechtaste, murmelte etwas.
»Mr. Wyatt … Ihre Frau ist am Apparat.«
Ich nahm den Hörer ab und stählte mich gegen den Klang ihrer Stimme, wußte in einem Anfall von Angst, daß ich sie nicht ertragen konnte. Ein Brausen in der Leitung, ein Knattern am Ohr.
Dann: »Adam? Hallo, Adam?«
Der melodische Tonfall, die deutliche Aussprache, dunkel und weich – ihre Stimme überflutete mich wie köstlicher berauschender Wein, hüllte meinen Geist mit ihrer fremden Vertrautheit ein.
»Adam, kannst du mich verstehen? Bist du da?«
Da erst fand ich Worte. »Hallo, Lydia.« Und meine Stimme klang entgegen all meinen Befürchtungen normal, unbeschwert, höflich und natürlich. »Ja, ich bin da. Wie geht es dir?«
»Mir? Glänzend. So eine nette Überraschung. Du weißt ja, wie ich Überraschungen liebe.«
Wußte ich das? Ja, es war mir seit langem bekannt – aber wie oft hatte ich ihr Überraschungen bereitet, weil sie daran Freude hatte?
»Adam, es ist doch nichts passiert, oder? Ich meine, du rufst doch nicht aus irgendeinem besonderen Grund an?«
Keinem, Lydia. Keinem, mein Liebling – nur dem, daß ich vielleicht deine Stimme nie mehr hören werde. »Es ist nichts Besonderes«, log ich – meine erste Lüge ihr gegenüber, wie viele würden noch folgen? »Nur so, Lydia, ich wollte deine Stimme wieder einmal hören.« Das ist die Wahrheit, wenn auch nicht die volle Wahrheit!
»Na«, sagte sie nach einer Pause, »dann freut mich die Überraschung noch mehr.«
War ihr Ton eine Spur mißtrauisch? Warum? Weil ich, wenigstens in den letzten Jahren, nie angerufen hatte, nur aus Anhänglichkeit? Oder hatte ich mich bereits irgendwie verraten? Oder reagierte Lydia rein intuitiv, auf Grund ihres sechsten Sinns, wie Anne es immer genannt hatte?
»Wie … wie geht es deiner Mutter?«
»Ach – du kennst sie doch. Den einen Moment im Sterben, und dann wieder mobil und aggressiv. Wirklich, Adam, sie ist wie ein Schlachtroß. Die Lungenentzündung hat sie natürlich sehr geschwächt, aber sie ist immer noch die alte. Was zugegebenermaßen nicht sehr angenehm ist. Und wie geht es dir?«
Wie? Hoffentlich würde sie es nie erfahren. »Ach, es ist langweilig«, antwortete ich – wieder eine Lüge. »Und etwas einsam –« Wieder gelogen – unendlich einsam, Lydia, ich war noch nie so allein und verlassen, wußte bislang nicht, was Einsamkeit bedeutet! »Ich wollte nur einmal wieder mit dir sprechen.«
Ich umklammerte den Hörer und stellte mir ihr Gesicht am anderen Ende der knacksenden, summenden Leitung vor, Hunderte von Meilen entfernt, die feinziselierten Patrizierzüge, die strahlenden, blauen Augen, sanft –
»Hast du meinen Brief erhalten, Adam? Den ich in dein Büro geschickt habe? Ich schrieb doch von meinem Theaterbesuch, nicht?« Es fiel mir ein – sie wollte nicht allein gehen, jemand mußte sie also begleitet haben –, ach Lydia, vergib mir, kannst du mir verzeihen! »Es war recht lustig. Da saß ich mit Laurie – entsinnst du dich an sie? Sie ist wirklich eine reizende, alte Dame, aber zimperlich, eine richtige alte Jungfer und das Stück drehte sich um zwei verkommene Schmierenschauspieler, die auf etwas warteten, es sollte wohl Gott sein, der aber zum Glück für uns, wahrscheinlich auch für sie, nicht erschien – und weißt du, woran ich denken mußte?«
Nein, Lydia – ich weiß nicht, ob ich jemals deine Gedanken erraten konnte. Bitte, sag's mir, weil ich es so gern wissen möchte.
»Ich mußte immer denken: Ich weiß ebensowenig wie sie, auf wen sie warten, aber es ist doch traurig, daß wir alle warten und die Zeit verschwenden, sie verrinnen lassen, als hätten wir eine Ewigkeit vor
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