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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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du bewundernswert fertiggebracht. Aber eines ist dir völlig entgangen!« Er verfiel in ein zorniges Flüstern. »Was geschieht mit Lydia, wenn dich der Ganove umbringt?«
    Ich stand auf. Meine Ruhe war dahin, selbst wenn es mir äußerlich gelang, Gelassenheit vorzutäuschen. Das hatte ich tatsächlich übersehen – wie konnte ich nur?
    »Danke, Hank.« Ich wandte mich ab.
    »Soll ich dich begleiten?«
    Ich konnte nur den Kopf schütteln.
    »Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
    Ich nickte abermals und marschierte hinaus.
    Heute früh hatte Freund Henry mich darauf hingewiesen, daß ich Selbstmord nicht in Betracht gezogen hatte. Und nun wußte ich dank seiner Vorhaltungen, daß ich bei allen Überlegungen, die ich angestellt hatte, die Möglichkeit eines eigenen Todes nicht mit einkalkuliert hatte. Ein weiterer Beweis dafür, daß es mit der Umsicht und Gefaßtheit, auf die ich so stolz war, nicht weit her war, sofern es noch eines solchen Beweises bedurft hatte.
    Nun mußte ich mich also mit meinem Tod befassen. Du könntest's nicht, Mann, nicht mal mit 'nem Revolver. Aber ich! Das wär 'n völligneuer Spaß. Ich könnt's! Ja, Wilby, ich glaube dir: Du könntest es. War ich denn der am meisten verbreiteten und dümmsten aller Fehlspekulationen zum Opfer gefallen, die mich auf allen Feindflügen begleitet hatte, der trügerischen überzeugung nämlich, daß ich, weil ich ich war, unzerstörbar sei, überleben müsse, daß jede Kugel vom Schicksal für einen anderen bestimmt war?
    Jetzt kommt's drauf an, Paps. Du oder ich.
    Casanova, jeder muß sterben. Was bedeutet Zeit?
    Und nun hatte ich die Antwort. Sie lag in der Luft. Zeit, Wilby, ist das einzige, was wir haben. Zeit, seien es Jahre oder Stunden oder Minuten oder Sekunden, ist für uns ein Stückchen Ewigkeit. Und diese Ewigkeit währt nicht lang: Eine Stunde ist kurz, ein Leben ist kurz, ein Jahrhundert ist kurz. Aber ist das ein Grund zum Jammern und Wehklagen? Es ist eine Tatsache, eine unserer Lebensbedingungen. Für die anderen dauert es auch nicht länger. Gestern nacht, Wilby, habe ich von dem Gift gekostet, das dich zu Rebellion und Verzweiflung treibt und zu immer weiteren Grausamkeiten. Aber dazu ist die Zeit zu kurz. Zu kurz und deshalb – deshalb, aus diesem Grund – zu wertvoll, um sie damit zu verschwenden, das Unerreichbare zu verfluchen, das, was deiner Ansicht nach eintreten sollte, was aber der Natur der Dinge nach nie so war, nie sein kann und nie sein wird. Aber … aber, und darin liegt der Kern, Wilby, der verblüffende, endgültige Schluß: das Leben ist wegen seiner Kürze und unserer Sterblichkeit nicht minder kostbar, sondern gerade deshalb wertvoller, bedeutender und befriedigender. Weil es blitzartig vorüberzieht, weil wir sterblich sind. Wenn dir zwei oder drei Stunden bleiben statt zwanzig oder dreißig Jahre oder einer Ewigkeit, dann bedeuten diese paar Stunden für dich die Ewigkeit. Wenn mir nichts als mein Bewußtsein bleibt, dann ist eine Mikrosekunde für mich die Unendlichkeit.
    Womit ich nicht sagen will, Wilby, daß ich nicht mein möglichstes tun werde, um meine Ewigkeit zu verlängern, sogar auf Kosten deiner Ewigkeit. Ich bin nämlich der Kapitän meines Schiffes, Wilby, und mein Schiff trägt noch immer eine wertvolle Fracht – wie du weißt und von Anfang an gewußt hast –, obgleich ich noch immer nicht begreife, wieso du das wissen konntest. Es trägt alle, die ich liebe – wie konntest du es ahnen, wo du doch nicht an Liebe glaubst? – und die würden leiden, ginge ich über Bord. Weil sie ebenfalls lieben.
    Da fiel mir eine zynische Redensart ein, die ich im Krieg immer wieder gehört hatte: In den Schützengräben gäbe es keine Atheisten. Damals hatte ich mir wenig Gedanken darüber gemacht – diese Feststellung traf auf einige der Männer in den Flugzeugkanzeln, an den Bombenschächten und den Maschinengewehren offenbar nicht zu. Und nun mußte ich mich zu diesen zählen – ohne Bedauern, ohne den Wunsch, anders zu sein oder zu empfinden.
    Auf dem Weg durch mein Vorzimmer wurde mir erst bewußt, warum ich es so eilig gehabt hatte. »Phoebe, verbinden Sie mich bitte mit meiner Frau in London. Die Nummer haben Sie. Falls sie nicht da ist, stellen Sie fest, wann und wo ich sie erreichen kann.« Und meine Stimme verriet nicht den geringsten Anflug des Zitterns, das mir nun in den Knochen steckte.
    Während mir die Aussprüche von Lydia durch den Kopf schossen, fragte ich mich, warum wir über

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