Sonntag bis Mittwoch
Aber ich habe am Montag abend getrunken, um die Wahrheit zu sagen. Ich habe ziemlich viel mitgemacht in den letzten Tagen. Aber das soll keine Entschuldigung sein und ist auch keine. Ich bedaure die Vorfälle sehr und werde mein möglichstes tun, damit sie Ihren Fall nicht präjudizieren.«
Mrs. Corbin dachte offensichtlich angestrengt nach, ihre Hände verkrampften sich um die Handtasche. »Na ja, wir haben alle … unsere persönlichen … Sorgen, nicht wahr?« Sie schaute mich an. »Sie … Sie sehen nicht besonders gut aus, wirklich. Sie –« Wieder wand sie sich in ihrem Sessel. »Mr. Wyatt, ich will auch aufrichtig sein. Ich mochte Sie bei unseren früheren Gesprächen. Und Leonard gefielen Sie auch sehr gut, was er von Ihrem Freund nicht gerade behaupten konnte. Aber ich muß auch an meinen Mann denken. Niemand außer mir weiß, wie schwer dieser Mann –« Sie brach ab, schlug die Augen nieder und biß sich auf die Lippe.
Sie regt sich so darüber auf, es ist nicht zum Mitansehen.
»Mrs. Corbin, die einzige Sorge Ihres Mannes ist, was mit Ihnen und den Kindern geschehen wird.«
»Mit mir?« fragte sie scharf und reckte das Kinn vor. »Warum sollte er sich um mich sorgen? Ich kann doch morgen wieder arbeiten gehen! Selbst wenn sie uns alles wegnehmen, was wir besitzen, kann ich immer –« Die ärgerliche Aufwallung legte sich wieder. »Nur – Leonard und ich haben von Anfang an beschlossen, lieber nur einen Wagen zu haben und auf Luxus zu verzichten, damit ich bei den Kindern zu Hause sein kann. Unsere Nachbarn halten uns alle für … na ja, anders als sie. Aber ich sehe nicht ein, warum ich die Kinder Fremden anvertrauen soll, nur um zwei Wagen und eine Tiefkühltruhe im Keller zu haben, oder?«
Darüber hatte ich nie nachgedacht. »Nein«, antwortete ich überzeugt. »Das wäre auch nicht einzusehen.«
Sie kniff die Augen verblüfft zusammen. »Wissen Sie genau, daß Leonard sich meinetwegen Sorgen macht?«
»Ja, weil er Sie liebt, Mrs. Corbin.«
Ihr Kopf fuhr zu mir herum: das breite, unausgeprägte Gesicht, die vorzeitig ergrauten Haare, das langsam schwindende Staunen in den Augen. »Dieser Leonard. Und ich mache mir die ganze Zeit nur um ihn Sorgen.« Die Zuneigung in ihrem Tonfall war unverhüllt und unverkennbar. »Ist das nicht merkwürdig?«
»Das finde ich nicht«, sagte ich. »Es passiert öfter, als man denkt.« Ich sann über Colin Welch nach. Ob Sie es glauben oder nicht, aber ich gehöre zu den Männern, die ihre Frauen lieben.
Mrs. Corbin betrachtete mich eingehend, ehe sie zu einem Entschluß gelangte. »Mr. Wyatt, ich kam her, um Ihnen mitzuteilen, daß Leonard und ich nicht wollen, daß Sie sich weiter um unseren Fall kümmern.«
»Das tut mir leid«, sagte ich ohne Überraschung. »Ich werde mit meinem Partner sprechen, und er wird Sie dann entweder selbst vertreten oder Mr. Gray beauftragen. An Ihrer Stelle würde ich auch nicht anders reagieren.«
Mrs. Corbin erhob sich, beide Hände um die Handtasche geklammert. »Ich habe es mir aber anders überlegt. Ich kann nur hoffen, daß ich keinen Fehler mache.«
Zuerst fand ich keine Worte. Eine gewisse Freude und Erleichterung durchzog mich, an der ich erkannte, wie sehr mir dieser Fall ans Herz gewachsen war. Obgleich ich morgen vielleicht nicht mehr lebte. Aber wer kann schon mit Sicherheit davon ausgehen, daß er den nächsten Tag erlebt? »Vielen Dank, Mrs. Corbin.«
»Ehrlich gesagt hat mir nicht gefallen, wie Mr. Gray von den Vorkommnissen gestern bei der Voruntersuchung gesprochen hat. Als wären ihm unsere Empfindungen völlig gleich. Und Ihre auch, Mr. Wyatt, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen.«
»Dann hat Mr. Gray wohl vorgeschlagen, Ihren Fall zu übernehmen?« Die Frage war jedoch überflüssig. Bedeutsam war nur, daß ich fünf Jahre gebraucht hatte, um Lee Grays wahres Gesicht zu erkennen. »Mr. Gray hat bereits mit der Versicherung verhandelt, und sie war einverstanden –« Sie schien mich zu beobachten.
»Mr. Gray«, erklärte ich ihr, »wird nicht mehr lange in diesem Hause tätig sein. Was er tat, war unfair und unverzeihlich. Offensichtlich wollte er uns einen Mandanten abspenstig machen.« Oder, wie Lee Gray es ausdrücken würde, das meiste herausschinden, solange sich die Gelegenheit bietet.
»Ist es nicht schrecklich«, fragte Mrs. Corbin mit geneigtem Kopf, »ist es nicht schrecklich, wie manche Leute sind?«
Ich erhob mich. »Manche Leute. Nicht alle. Oder das Leben wäre nicht zu
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