Sonntag bis Mittwoch
in die Sturm- und Drang-Periode wahlloser Liebesbeziehungen. Wenn aber all die temporären Junggesellen sich wirklich so amüsierten, warum lungerten sie dann den ganzen Abend bei Pat herum, tranken und schlugen die Zeit irgendwie tot? Sie machten nichts anderes als ich in den letzten Wochen: wappneten sich mit ein paar Drinks gegen die leere Wohnung, das Essen aus der Tiefkühltruhe, die Langeweile vor dem Fernsehen, die Elf-Uhr-Nachrichten und dann das verdammte einsame Bett. Und warum führten sie dieses Leben jedes Jahr zwei oder drei Monate? Damit ihre Frauen und Kinder, die sie liebten, frische Luft und Entspannung und Erholung an der Küste, in den Bergen, auf dem Lande genießen konnten.
Das Taxi bog um die vertraute Ecke, und Geoffrey hielt mir den Schlag auf.
»Vielen Dank«, sagte der Fahrer beim Anblick des Trinkgelds.
»Großzügigkeit ist noch nicht ausgestorben.«
»Ich kann es mir leisten«, sagte ich. »Ich bin pleite.« Dann: »Guten Tag, Geoffrey. Ja, ich bin heute früh dran. Ja, es ist wirklich schwül, das liegt an der Luftfeuchtigkeit, wie ein Freund gestern bemerkte.« Ich durchquerte das marmorne Foyer. »Und wie geht es Ihrer Frau?« Geoffrey starrte mir mit langem Gesicht nach, als die Aufzugstür zuging.
Während ich nach oben schwebte, fragte ich mich, ob sich diese merkwürdige Stimmung wohl hielt, dieses mit einem gesteigerten Wahrnehmungsvermögen verbundene Hochgefühl ob der Absurditäten, die mir zum ersten Mal erregend und amüsant vorkamen. Das war natürlich die größte Ironie: daß ich nun, da ich das Leben bewußter, tiefgreifender und freudiger erlebte, es möglicherweise verlieren sollte. Wäre das ein Beweis für Wilbys Theorie – daß alles sinnlos ist? Würde er sich nicht besonders anstrengen, den Beweis anzutreten, indem er mich tötete, sobald er meine jetzige Haltung durchschaute?
Doch die Ironie ging noch weiter: Wilby, du selbst hast mich doch die Zufälligkeit des Schicksals sehen gelehrt, aber anstatt den Tod als bedeutungslos und absurd zu empfinden, hat mir die Annahme deiner Lehre gezeigt, daß er tiefere Bedeutung hat. Wenn das Ende die Auslöschung meines kostbarsten Besitzes ist, meines eigenen Bewußtseins, und wenn ich dies weiß und es trotzdem wage, dann hat sogar dieser Verlust einen Sinn.
Was geschieht mit Lydia, wenn dich der Ganove umbringt? Ich hatte die rechte Hand in die Tasche gesteckt, als der Aufzug anhielt. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zu vermeiden, daß er mich tötet, Hank – weil ich den Wert des Lebens zu schätzen gelernt habe, aber vor allem, weil Lydia leiden würde.
Als ich mich auf dem Gang meiner Wohnung näherte, das Paket mit dem Bild in meiner Linken, die schmerzende Rechte in der Tasche, versuchte ich, mich auf den bevorstehenden Augenblick zu konzentrieren. Wen traf ich hinter der Tür an? War Wilby zurückgekommen? Jenny? Und wenn Jenny nicht da war?
Das Bild an die Wand lehnend, sperrte ich die Tür mit der Linken auf. Das Durcheinander war so groß, daß daraus nicht zu ersehen war, ob sich in der Zwischenzeit etwas verändert hatte. Das Wohnzimmer war leer. Ich schaute zur Galerie hinauf: die Tür des Gästezimmers war angelehnt, die meines Schlafzimmer geschlossen. Ich ging durch das Chaos zur Bibliothek, schob mich leise an die Tür und blickte hinein. Niemand war zu sehen, aber etwas erstaunte mich doch: Der Bildschirm des Fernsehers war eingeschlagen, und die Explosion oder Implosion hatte Glassplitter im ganzen Raum verstreut. Es erinnerte mich an jene Londoner Wohnungen nach der Entwarnung. Mein Haus ist meine Burg …
Ich begab mich vorsichtig zur Diele, holte das Bild herein, stellte es neben das Telephontischchen und wollte gerade die Schranktür öffnen – hatte Wilby die Katze überhaupt entdeckt? –, als ich von oben ein Geräusch vernahm: Wasser, das durch den Ablauf gurgelte.
Jenny? Ohne die Hand aus der Tasche zu ziehen, ging ich an dem Gemälde vorbei, durch das Wohnzimmer und mit leisen Schritten die Stufen empor. Ich blickte ins Gästezimmer.
Jenny – es konnte nur Jenny sein! – stand vor dem durchgehenden Spiegel, den Rücken mir zugekehrt. Sie war nackt und betrachtete ihr Ebenbild. Ihr Körper glänzte vor Nässe, und ihre langen Haare hingen in feuchten Strähnen herab. Sie mußte mich im Spiegel gesehen haben, denn sie drehte sich um. In den Armen hielt sie die Katze und streichelte sie. Nun hörte ich trotz des rauschenden Wassers ihr sanftes
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