Sonntag bis Mittwoch
Er muß es gespürt haben, denn seine Augen verengten sich.
»Man hat mich nicht geschickt, Alter. Ich ging freiwillig. Es war mein freier Entschluß. Ich hab' denen im Gerichtssaal eine solche Szene hingelegt, daß der Richter überzeugt war, ich brauchte psychiatrische Hilfe. Klingt hochgestochen, was? Hab' sie nur zum Narren gehalten, kapito? Nicht lange, und ich hab' den Wärtern geholfen, statt in einer lausigen Zelle zu schmoren. Hab' geholfen – sie fanden mich großartig!« Der rauhe, verbitterte Ton glich einem Knurren. »Hab' geholfen, die Irren umzubringen. Umzubringen! Ein Verrückter pinkelt zu oft ins Bett, schlägt den Pfleger, oder 'ne alte Frau macht ihre Hosen naß und wird aufsässig – dann kriegen sie Prügel, oder die Fenster bleiben offen, Winter, Lungenentzündung, offiziell alles in Ordnung, traurige Sache.« Er hatte sich in einen Schreikrampf hineingesteigert. »So wird's gemacht, Mann. Hab's gesehen – ich weiß Bescheid. Und was tust du für die Menschenwürde, Paps? Ich frage dich. Du sitzt auf deinem fetten Arsch, genau wie die Deutschen vor Buchenwald, so macht man das, genau wie die braven soliden, frommen Bürger vor den Toren von Auschwitz, die sich nur wunderten, woher der komische Gestank kam.«
Er machte eine Pause, röchelte. Jennys Schluchzen war verstummt. Wilbys Keuchen war der einzige Laut im Raum. Ich hatte den Eindruck, daß ihm die Stille auf die Nerven ging, blieb deshalb reglos stehen und fixierte den dunklen Spiegel seiner Brillengläser.
»Wenn du vorhast, mich zurückzuschicken, Mann, vergiß es! Die wollen mich nicht. Kein Raum in der Herberge und Adeste Fidelis für dich. Nicht genug Betten, also ham sie mich entlassen, Grenzfall, ungefährlich, auf Wiedersehen, Platz machen für den nächsten. Die stehen an der Tür Schlange und betteln um Einlaß.« Er kam einen Schritt näher, dicht vor mich hin. Als er weitersprach, fuhr mir sein übelriechender Atem ins Gesicht, und ich konnte die schwarzen Stummel seiner Backenzähne sehen. »Reiß dich also zusammen, Alter. Und laß Jenny aus dem Spiel, kapito?«
Mir fehlten die Worte. Ein Verdacht drängte sich mir auf: War es möglich, daß er Jenny nicht mutwillig und grundlos geschlagen hatte, um sie gefügig zu machen, sondern wegen der vergangenen Nacht? War Wilby etwa gar auf obskur krankhafte Weise auf mich eifersüchtig? »Haste die Stimme verloren, Sam?« erkundigte er sich laut.
»Ich höre zu«, erwiderte ich und war nun gewiß, daß ihn meine ruhige Gelassenheit aufregte, selbst wenn er sie als Strategie durchschaute. »Probier's bloß nicht noch mal«, warnte er heiser flüsternd.
»Sie ahnen nicht, was ich sonst noch probieren kann.«
Stille. Nicht einmal sein Atmen war zu vernehmen.
»Schließlich habe ich für diese Vorstellung bezahlt.«
»Vergangene Nacht haste genug für dein Geld gekriegt«, erwiderte Wilby und wandte sich ab. Er schlenderte zur Couch und blickte auf Jenny hinab. »Soviel ich gehört habe. Hast keinen Grund, dich zu beklagen, Sam. Hast noch 'ne Nacht vor dir, was?«
Jenny versteifte sich. Ihr Blick wanderte von Wilby zu mir, und ihre Augen weiteten sich.
»Genug für dein Geld?« Sie erhob sich. »Geld?«
Ich ignorierte beide und ging in die Diele.
»Pinke!« sagte Wilby schadenfroh. »Dreitausend.«
»Ich mach's nicht für Geld!« Es war fast ein Aufschrei. Ihr Körper war katzenhaft gekrümmt, ihr Gesicht verzerrt, und ihre Augen waren zu häßlichen, roten Schlitzen verengt. Sie ging plötzlich mit ihren roten, langen Fingernägeln auf ihn los.
Wilby packte sie an den Handgelenken und warf sie auf die Couch. Sie fuhr wieder auf ihn los. Er schleuderte sie wie eine Puppe zurück, und sie stieß einen Fluch und einen Schmerzensschrei aus, als er ihr die Arme verrenkte.
Als er sie schließlich losließ, schluchzte sie, das Gesicht im Schoß vergraben.
Mir drehte sich der Magen um.
»Da hat dich dein Alter noch ganz anders behandelt, was, Baby? Mit dem Gürtel, auf den nackten Rücken!«
Jenny heulte lauter und murmelte unzusammenhängende Worte.
»Wilby –« sagte ich.
»Meinste mich, Casanova?«
»Jetzt hören Sie mal zu. Wir haben eine Abmachung –«
»Ich hab' dich am Wickel, und jetzt willste über Abmachungen reden.«
»Hören Sie«, fuhr ich im gleichen Ton fort. »Wir stecken beide in dieser Sache, bis morgen. Wenn etwas schief läuft –«
»Nur keine Drohungen, Mann.«
»Keiner von Ihnen verläßt die Wohnung. Sie lassen das Telephon
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