Sonntag bis Mittwoch
klingeln, wenn ich nicht da bin. Die Vorhänge bleiben zugezogen. Und niemand betritt die Terrasse.«
Wilby legte den Kopf auf die Seite. »Du tust wie mein Bruder, was, Mann? Aber mich kommandiert keiner herum.«
»Wenn einer von Ihnen hier entdeckt wird, ist das Spiel aus. Für mich, aber auch für Sie – für Sie beide.«
Ich sah, wie Jenny den Kopf hob. Tränenspuren zeichneten sich auf ihren Wangen ab, und ihre Augen blickten erstaunt und bösartig. Aus einem Mundwinkel tropfte Blut.
»Mann«, sagte Wilby mit tiefer und gleichmäßiger Stimme, »mir jagste keine Angst ein. Kein bißchen. Ich riskier' nämlich gern was. Gern-gern. Nur ein Gebot breche ich nie: das elfte Gebot der Spießer: Du sollst dich nicht erwischen lassen.«
Ich schritt zur Tür.
Wilby fragte: »Wo ist der Revolver, Casanova?« Und als ich zögerte: »Der Revolver, den du heute mitbringen wolltest, weißte noch? Die Wohnung in Unordnung bringen und uns erschießen.«
Unvermittelt, als käme die wachsende Wut dieses Morgens schließlich zum Durchbruch, setzte er sich in Bewegung. Ich konnte nur hilflos zuschauen. Er warf einen Sessel um, wischte den Couchtisch leer, fegte mit einer Handbewegung Flaschen und Gläser von der Bar, daß sie zersplitterten und ihren Inhalt verspritzten.
Er führte ein abgehacktes Selbstgespräch, von dem ich nur Brocken verstand: »Bomben los … Du sollst nicht … hypokritischer Eid …«
Als er innehielt, war das Zimmer ein Chaos. Wilby blickte mich keuchend über die Verwüstung hin an. Jenny hatte sich in eine Ecke des Sofas gekauert und schaute erschrocken drein.
Ich spürte, daß ich in einem Grenzbezirk jenseits von Staunen, Angst oder Wut angelangt war. Mein Magen rebellierte, und ich würde mich bald erbrechen und einen weiteren Beitrag zu diesem Chaos leisten. Ich wußte aber auch, daß ich handeln mußte, jetzt, heute. Ich konnte es nicht mehr bis morgen laufen lassen.
»Na, Paps? Wo haste den Revolver? Jetzt ist die Gelegenheit –«
Es konnte nicht bis morgen weitergehen, weil der Junge entschieden ein Psychopath war, mindestens auf der Kippe stand.
»Du schaffst es nicht, was, Casanova? Zu zivilisiert. Liegt's daran? Menschenleben zu kostbar? Sogar meines? Kostbar? Daß ich nicht lache! Bomben los, überall, ich krieg' noch 'ne Medaille.«
Aber wenn er sich am Rande des Wahnsinns bewegte –
»Du könntest's nicht, Mann, nicht mal mit 'nem Revolver. Aber ich! Das wär 'n völlig neuer Spaß. Ich könnt's!«
Ich ging zur Tür hinaus, fest entschlossen.
Der Aufzug war leer – und unglaublich heiß. Zum Ersticken. Mein Magen drehte sich wieder um, und ich würgte. Ich mußte mich an die Kabinenwand lehnen.
Im Erdgeschoß verließ ich ihn mit weichen Knien, ging aber nicht zum Haupteingang, sondern durch die Halle in den Keller. Waschküchenluft überfiel mich und der penetrante Gestank von Müll, Abfällen, Schmieröl. Ich schaffte es gerade noch bis zur nächsten Tonne, ehe meine Beine nachgaben und ich mich erbrach. Mein Magen war leer, aber es dauerte volle fünf Minuten, ehe ich zu würgen aufhörte.
Auf dem Rückweg zum Büro – wo sollte ich sonst hin? – schmerzten meine Rippen und jeder einzelne Muskel, während eine einzige Frage meinen benommenen Kopf erfüllte: Wenn er jetzt kurz vor dem überschnappen war – schließlich hatte er zugegeben, schon einmal in einer Anstalt gewesen zu sein –, was würde geschehen, wenn er morgen restlos den Verstand verlor?
Das Risiko konnte ich nicht auf mich nehmen.
Nachdem ich mir eine neue Schachtel Zigaretten gekauft hatte und im Aufzug nach oben gefahren war, eilte ich an der fassungslosen Phoebe vorbei in mein Büro und wollte gerade aufatmen.
»Läßt du alle Klienten so lange warten?«
Einen Augenblick stockte ich wie erstarrt. Es war Anne. Sie stand von meinem Schreibtischstuhl auf und küßte mich auf die Wange. »Hier ist es ja wie am Nordpol! Und dein Gesicht ist naß. Daddy, du siehst ja fürchterlich aus!«
Mir blieb keine andere Wahl, als zu bluffen. »Vielen Dank, Tochter«, sagte ich. »Das ist ein liebevoller Empfang. Welchem Anlaß verdanke ich diese Ehre?«
Sie starrte mich aus ihren offenen, blauen Augen verblüfft, aber amüsiert an. Sie trug ein leichtes, ärmelloses Sommerkleid und wirkte unglaublich jung. Sie holte ihre Handtasche vom Schreibtisch.
»Du verdankst diese Ehre«, antwortete sie, »der einfachen Tatsache, daß du mich gestern für heute zum Mittagessen eingeladen hast.
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