Sonntag bis Mittwoch
stirnrunzelnd zurück. Ich konnte es nicht ertragen, sie anzusehen, und widmete mich deshalb meinem Glas, das allerdings schon wieder fast leer war. Indessen, irgend etwas mußte ich sagen.
»Wer schert sich schon um diese Leute? Das Lokal wird von Gangstern geleitet, und nach allem, was ich weiß, stammen die Gäste aus dem gleichen Milieu.«
»Warum«, erkundigte sich Anne ernsthaft, die Augen auf mich gerichtet, »warum kommst du dann her? Und die anderen Leute? Wenn alle es wissen?«
Du weißt doch, wie scharf die Leute auf Verbrechen sind, alle Leute. Romantisch, Mensch!
»Weil es in New York nirgendwo besser italienisch zu essen gibt«, erklärte ich, wobei ich mich fragte, ob die Begründung wohl zutraf. Ich winkte dem Kellner und trank mein Glas aus.
»Wenn du noch eins trinkst, tu ich's auch.«
Das klang gar nicht nach Anne. Sie hatte immer behauptet, daß sie vom zweiten benebelt und vom dritten völlig beschwipst würde. Einmal hatte sie sogar gesagt, daß sie nie ein viertes Glas trank, weil Glenn dagegen war. Warum fiel mir dies alles plötzlich ein? Ich bedeutete dem Kellner, daß wir zwei frische Drinks brauchten.
»Ich muß also annehmen«, sagte Anne – und ich erkannte an der Direktheit ihres Blicks, was für eine Frage ihr auf der Zunge lag –, »daß Mutter und du nie gestritten habt?«
Ich dachte wieder an London: die gehetzten Treffen in verdunkelten Kneipen, die ausgebrannten Gebäude, die wir im Dunkeln passierten, das Heulen der Sirenen und das Orgeln der Bomben, das kleine Lokal mit der Holzbalkendecke beim Flugplatz. »Wir hatten nicht viel Gelegenheit dazu«, sagte ich. »Nicht während des Krieges. Wir sahen uns so selten.«
»Das klingt ja gerade, als hättet ihr euch später oft in den Haaren gelegen.« Es war keine Frage, mehr eine Feststellung, die sie auf sich beruhen ließ.
Obgleich sie es besser wußte. Anne hatte erlebt, daß Lydia sich konsequent weigerte, über Nebensächlichkeiten zu streiten, während ich zum Beispiel wegen Belanglosigkeiten aufbrauste … und daß ich mich weigerte, über alle jene Dinge zu streiten, über die, wie ich mit plötzlicher Klarheit wußte, Lydia sehr gern mit mir diskutiert hätte. Über was, zum Beispiel? Hatte ich nicht einmal danach gefragt? Ach, ich weiß nicht recht, Liebling. Ich habe nur den Eindruck, daß wir nie über etwas Wichtiges oder Lebensnotwendiges diskutieren; wie soll da bei – unseren Debatten etwas Brauchbares herauskommen? Wie so viele von Lydias Bemerkungen, besonders im vergangenen Jahr, war sie mir seinerzeit rätselhaft gewesen – und war es heute noch mehr, wenn ich darüber nachdachte. Ich schaute auf und merkte, daß Anne mich beobachtete.
»War Mammy noch unschuldig, als ihr geheiratet habt?« Trotz der Redewendungen, die ich letzte Nacht und heute morgen über mich ergehen lassen mußte, lief mir ein Schauder den Rücken hinunter, seltsam und doch vertraut, vertraut, weil es Anne immer darauf anlegte, mich zu schockieren. Ich hörte sie nun lachen.
»Genehmige dir noch einen Schluck, ehe du antwortest«, neckte sie mich.
Ich setzte mein Glas ab und fixierte sie. Die Heiterkeit wich allmählich aus ihrem Blick. Sie wußte, daß ich nicht darüber sprechen wollte. Tatsächlich war Lydia damals sehr jung, noch jünger als Anne heute – und unberührt gewesen, als wir einen oder zwei Monate vor unserer Hochzeit zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, ein Faktum, das uns beide immer sehr befriedigt hatte.
»Na ja«, sagte Anne schließlich, »jedenfalls glaubt es Glenn von mir auch.«
»Und«, erkundigte ich mich, selbst überrascht von der beiläufigen Höflichkeit meines Tones, weil ich aus unerklärlichen Gründen die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte, »warst du es denn nicht?«
»Ehrlich gesagt – nein.«
Und ehe ich Zeit zu einer Entgegnung fand – hatte ich es nicht schon gewußt, und kam es eigentlich darauf an? –, sprach Anne hastig weiter: »Oh, Daddy, ich konnte es ihm nicht sagen. Es schien nicht wichtig – nicht für uns beide. Aber als er fragte, log ich. Und ich muß immer wieder an Mammys Worte denken – daß Sex und Liebe eins sind oder sein sollten und daß die Ehe unter einem besseren Stern steht, wenn beide begreifen, daß das zusammengehört. Aber – ach, Daddy, heutzutage ist alles dagegen. Alles. Wenn man doch nur schon als Kind heiraten könnte. Wie in Indien. Verstehst du?«
Verstand ich es? Was? Daß Sex und Liebe eins sein sollten? Daß
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