Sonntag bis Mittwoch
fern und unwirklich.
»Es tut mir leid, Anne. Wegen Glenn. Wirklich.«
Anne schüttelte den Kopf. »Es handelt sich nicht nur um Glenn. Wer hat uns eigentlich aufgetragen, auf der ganzen Welt für Ordnung zu sorgen? Wenn die Vereinten Nationen mehr täten, oder wenn uns die anderen zivilisierten Nationen mit mehr als nur Worten unterstützten – sie können doch nicht alle im Unrecht sein und nur wir im Recht? Wer sind wir schon, daß wir uns ein Urteil anmaßen? Soweit ich es verstehe, machen wir uns, und die weiße Rasse, nur noch verhaßter. Wie wollen wir so den Kommunismus aufhalten?«
Während ich erschrocken zuhörte, sah ich Wilbys Gesicht vor mir, nicht Annes. »Verdammt, Anne, du redest ja wie ein verrückter Beatnik!«
Sie runzelte die Stirn. »Na, ich demonstriere nicht, und Glenn verbrennt seinen Einberufungsbefehl nicht, aber viele von uns –« Sie hob ihr Glas. »Ich frage mich, was ich tun soll. Soll ich ihm von Ausbildungslager zu Ausbildungslager nachreisen, oder –«
»Oder was, Anne?«
»Wieder nach Hause kommen in mein altes Zimmer und einfach abwarten?«
Bei ihren letzten, leisen Worten ergriff mich unsägliche Wehmut. Anne wieder daheim, in ihrem Zimmer. Dann drängte sich mir das Bild ihres Zimmers von heute, von gestern nacht auf, und mir war einen Moment, als müsse ich mich erbrechen, vom Tisch aufstehen und hinausgehen.
»… nach nur einem Jahr. Ich meine, ich kann mir schwer vorstellen, wie es wieder zu Hause sein wird, und ich weiß nicht, was Glenn davon hält. Er sagt immer, ich sei ein erwachsenes Mädchen und müsse selbst entscheiden, aber –«
»Was würdest du denn am liebsten tun, Anne?« Ich wartete gespannt auf ihre Antwort, die mir ganz außerordentlich bedeutsam schien.
Sie runzelte die Stirn. »Mein … Zuhause fehlt mir, mein altes Zimmer, alles. Manchmal. Aber –«
»Aber?«
»Aber Glenn meint, wenn sich ein Ehepaar länger als unbedingt notwendig trennt, dann bedeutet das … meistens, daß irgendwas nicht mehr stimmt.«
Nicht stimmt? Deutete sie, deutete Glenn etwa an, daß nur, weil Lydia weg war –
»Sam!«
Ich zuckte zusammen. Mein Herz stockte.
»Da bist du ja, Sam!«
Die Stimme kam von rückwärts. Nicht Jennys Stimme – sie klang nicht wie Jennys –, aber ich wagte nicht, mich umzudrehen.
»Tut mir leid, daß ich so spät komme, Sam. Verzeih.«
Nun mußte ich mich einfach umdrehen. Ein kleiner, dunkelhaariger Mann schob einer hochblonden rundlichen Frau den Stuhl zurecht, küßte sie auf die Wange und setzte sich dann wieder hin.
Ich sank erleichtert zusammen und spürte, wie mir der Schweiß aus allen Poren drang und am Rücken herunterrann. Anne beobachtete mich verblüfft.
Während der restlichen Mahlzeit, bei der ich nichts aß – worüber Anne sich tunlichst eine Bemerkung verkniff –, führten wir eine nichtssagende Konversation, wie zwei Fremde: über die Trockenheit, die versengten Wiesen, die Wasserknappheit und Glenns guten Versicherungsabschluß vergangene Woche.
Anne lehnte dankend den Kaffee ab. »Ich habe dich gewarnt«, sagte sie mit ungewohnt heller Stimme, »daß mir der Alkohol zu Kopf steigt. Aber weißt du, mir gefällt das!«
Und während ich auf die Rechnung wartete, fügte sie hinzu: »Daddy, ich bezweifle, daß wir uns so unterhalten hätten – es ist wirklich das erste Mal –, wenn du mich nicht unter Alkohol gesetzt hättest.«
»Das gehört zu den Pflichten eines Vaters«, konstatierte ich nicht gerade geistreich und hörte, wie sie lachte, während ich die Rechnung abzeichnete.
Doch als ich mich gerade in dem Gefühl sonnte, alles durchgestanden zu haben, legte mir Anne über den Tisch eine Hand auf den Arm.»Was ist los? Kannst du es mir nicht sagen? Ich hab' dir doch mein Herz ausgeschüttet. Warum erzählst du es nicht mir?«
»Was soll ich dir erzählen, Anne?«
Sie zog ihre Hand zurück und griff nach ihrer Handtasche. Ihre Haltung war wieder forsch und gelassen, aber in ihrem Blick schwelte eine Mischung von Enttäuschung, Kummer und Niedergeschlagenheit.
»Deine Phantasie geht immer wieder mit dir durch«, erklärte ich mit erstickter Stimme. »Ich habe wie ein Pferd geschuftet, das ist alles. Und, zugegeben, ein bißchen zuviel getrunken.«
»Gestern hast du sogar einen Highball vor dem Mittagessen abgelehnt.«
»Ach, Anne, nun glaub mir doch, um Himmels willen! Habe ich dich jemals angelogen?«
Sie erhob sich. »Nein«, sagte sie, »bis jetzt nicht … soweit ich weiß.
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