Sonntag bis Mittwoch
sie für Lydia immer eins waren?
»Daddy, was ist los? Was hab' ich gesagt?«
Glücklicherweise wurden uns die Speisekarten vorgelegt. Und während wir bestellten, hoffte ich, daß sie vielleicht den Punkt nicht weiterverfolgen würde.
»Schau, Daddy, osso buco! Man hat uns erwartet!«
Ich nickte dem Kellner zu. »Zweimal. Mit grünem Salat. Wein, Anne?«
»Du machst mich noch betrunken. Lieber noch einen Daiquiri.« Und als sich der Kellner zurückgezogen hatte, schaute sie mir wieder forschend in das Gesicht. »Also, was hätte ich tun sollen? Was würdest du von deiner Frau erwarten? Daß sie die Wahrheit sagt? Wenn ich es nicht tue, ist es das gleiche, als wäre mein Leben eine Lüge, nicht wahr?«
Da war es wieder: Wahrheit. Gleichgültig, wie viele Listen man anwendet, um sie zu unterdrücken, vielleicht sogar mit Erfolg, konnte man sie auf die Dauer ungeschehen machen? Oder, selbst wenn dies möglich wäre, konnte man hinterher mit der Lüge weiterleben?
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Anne«, erwiderte ich.
Ich sah, wie Enttäuschung ihren Blick verdunkelte. Ich konnte es nicht ändern. Ich wußte die Antwort nicht. Ich hatte sie im Stich gelassen – und war mir dessen bewußt.
Sie lehnte sich zurück und kippte, als die Getränke serviert wurden, ein halbes Glas hinunter. »Du warst doch gestern nacht am Telephon betrunken, oder?«
»Na und?«
»Deshalb brauchst du mich doch nicht anzufauchen. Das macht doch nichts, finde ich wenigstens. Wahrscheinlich tut es dir sogar gut, wenn man bedenkt –«
»Was bedenkt?«
»Ach, Daddy –«
»Wenn man was bedenkt, Anne?«
»Wie lange Mammy schon weg ist –« Sie zögerte eine Sekunde und fragte dann: »übrigens, wie geht es Phoebe?«
»Phoebe?«
»Ich meine, bist du mit ihrer Arbeit zufrieden?«
Mit einem Mal wurde mir alles klar. Ich entsann mich des Untertons in Annes Stimme, als sie sich vorhin von Phoebe verabschiedet hatte. Ausgerechnet Phoebe. Der Gedanke war absolut lächerlich. Ich spürte, wie der Whisky durch meine Adern rollte. Ich vernahm ein hohles Gelächter, mein eigenes.
»Ist das so komisch?«
»Anne«, sagte ich, noch immer lächelnd, »ich bin mit Phoebes Arbeit sehr zufrieden, aber ich habe kein Verhältnis mit ihr angefangen.«
»Wer hat denn so etwas behauptet?«
Das war genau die Art von Ausweichen oder Ableugnen, die Lydia nie anwenden würde. Nicht, daß Lydia jemals mißtrauisch gewesen wäre. Merkwürdig, daß es gerade Anne sein sollte –
Das Essen kam, und bei seinem Anblick drehte sich mir der Magen um. Ich hielt mein Glas hoch, der Kellner nickte, und dann hielt Anne das ihrige hoch, und er nickte nochmals.
»Du kriegst heute keinen Vorsprung«, sagte sie.
Anne aß schweigend, während ich nur auf meinen Teller starrte; der Geruch allein war mir widerlich. Zu viel stürmte auf mich ein, zu schnell. Und ich wußte, daß ich Anne nicht wirklich beruhigt, überzeugt hatte. Aber was konnte ich sonst noch sagen?
Das schlechte Gewissen machte mich gereizt. Was für ein Recht hatte Anne, mich zu verdächtigen, und was ging es sie überhaupt an?
»… kann nicht einmal sagen, wie mir zumute ist. Wahrscheinlich weiß der Präsident, was er tut, aber klargemacht hat er es nicht, und sehr vernünftig kann ich es auch nicht finden.«
»Tut mir leid«, sagte ich, als die Getränke kamen, »verzeih, Anne, aber ich war mit den Gedanken woanders.«
»Ja. Offensichtlich.« Sie starrte mich aus ihren klaren blauen Augen mißtrauischer als zuvor an. »Ich habe gesagt, daß Glenn einberufen worden ist und wahrscheinlich nach Vietnam geschickt wird. Glenn und ich kennen zwei Männer, die schon dort gefallen sind. Das Ganze muß doch irgendeinen vernünftigen Grund haben, sonst hat doch das Leben gar keinen Sinn.«
Haste die ›Grünen Teufel‹ gelesen, Alter? Was die braven zivilisierten Südviets tun, wenn ihnen unsere tüchtigen, loyalen Soldaten Gefangene übergeben?
»Soweit ich es verstehe, dreht es sich darum, den Kommunismus an der weiteren Ausbreitung zu hindern.« Sprach ich zu Anne, oder war es Wilby? »Die Alternative zu den Kämpfen heute scheint ein viel schlimmerer Krieg später zu sein.«
»Aber Daddy –«
Sofort fiel mir ein anderer Ausspruch Lydias ein: Manchmal beneide ich dich, Adam – wie du dir so unbesehen eine gängige Meinung zu eigen machst.
Mit einem Mal bestand der Krieg nicht mehr nur aus Pressephotos, Lageskizzen und Verlustlisten in den Zeitungen, alles verschwommen,
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