Sonntag bis Mittwoch
trotzdem recht amüsant. Sie nehmen mir doch nicht übel, wenn ich sage, daß Sie heute nicht ganz der alte sind? Ich versuche schon die ganze Zeit, mir schlüssig zu werden, ob das einen rapiden Verfall oder eine Verbesserung bedeutet. Aber vielleicht komme ich heute abend noch dahinter.«
Der Schmerz war zu einem ständigen Begleiter geworden; er pochte nicht, sondern hatte von jeder Fiber meines Körpers Besitz ergriffen. Donald schien es ziemlich gleichgültig zu sein, ob ich zuhörte. Als wir den dritten Drink zu uns genommen hatten, überlegte ich – in einer fernen und betäubten Windung meines Gehirns –, ob ich nicht im Klub übernachten sollte. Lydia hatte vorgeschlagen, mich bis zu ihrer Rückkehr hier einzumieten, aber ich hatte wegen der Kosten widersprochen. Hätte ich allerdings die ganze Zeit hier gewohnt, wäre es nicht entfernt so teuer gekommen, wie –
»Sie scheinen etwas abwesend zu sein, alter Junge, um nicht zu sagen untergebuttert. Kopf hoch, wir werden den Charlie schon finden.«
Trotz der Qual in allen Muskeln gelang es mir, aufzustehen. »Was, zum Kuckuck, ist der Charlie?«
»Mein lieber Mann, sind Sie völlig hinter dem Mond? Haben Sie nie Earl Wilson gelesen? Der Charlie ist die Aktion, ist da, wo etwas los ist. Sind Sie innerlich bereit, in dionysischen Gefilden zu wandeln? Wir können zu Fuß gehen, es sind nur fünf oder sechs Blocks.«
»Sie können gehen«, erwiderte ich. »Ich nehme ein Taxi und treffe Sie dort.«
»Na, na, kein Grund zu Brüskierungen. Ich laufe nur wegen meiner Linie, Sie beneidenswerter Kerl. Soll ich einen Wagen herbeipfeifen, oder wollen Sie?«
Im Taxi fläzte er sich in eine Ecke. Seine Augen folgten allerdings jeder hübschen Frau, an der wir vorbeifuhren. Ein- oder zweimal drehte er sich sogar um, ohne dabei seinen Vortrag über die verschiedenen Arten des Snobismus zu unterbrechen. Es war offensichtlich eine Gewohnheit, die mir früher entgangen war, vielleicht deshalb, weil ich ihm sonst nur in kleinem geselligen Kreis oder in der etwas klösterlichen Umgebung des Klubs begegnet war.
Inengelhafter Unbekümmertheit plapperte er weiter, während er mit schmalen Augen nach Mädchen Ausschau hielt, ihnen nachsah und sie wahrscheinlich im Geist auszog. Seine Lippen waren feucht und hingen während gelegentlicher Redepausen schlaff herab. Wieso hatte ich das noch nie bemerkt? Und warum fiel es mir nun plötzlich auf? Ich habe gesagt, ich wollte einen Kerl namens Donald Bishop besuchen. Jedenfalls was Religiöses. Wie war sie gerade auf Donalds Namen verfallen, um am Portier vorbeizugelangen? Sollte es reiner Zufall gewesen sein?
»Da sind wir ja, alter Junge. Ein Hort der Unruhe, hoffentlich! Dirnen? Babylonische Huren. Gomorrah ohne Sodomie, so wollen wir inbrünstig hoffen!«
Hatte Donald Jenny irgendwo aufgelesen und ihr, vielleicht in aller Unschuld, von mir erzählt?
»Behalten Sie den Rest, Fahrer. Meine Mutter, Friede sei mit ihr, starb als reiche Frau. Adam, haben Sie Ihren Paß dabei? Ich lasse meinen immer verlängern, damit ich ungeschoren über fremde Grenzen wie diese komme.« Das Lokal war schummerig und in einer geschmacklosen Mischung von Südseeimpressionen und metallener Moderne dekoriert. Der Lärm klang vertraut: wiederum die Dschungelrhythmen, aber elektrisch zu einem ohrenbetäubenden Crescendo verstärkt. Drei fast nackte Mädchen vollführten Bauchtänze in Käfigen, die von der Decke hingen, und zwei andere in einer Art von Haremskostüm mixten unter rhythmischen Verrenkungen hinter der Bar die Getränke. Die ganze alptraumhafte, bizarre Atmosphäre wirkte gleichzeitig amüsant, deprimierend und abstoßend.
Der Oberkellner, ein Orientale in zerdrücktem Frackhemd mit schwarzem Binder, begrüßte Donald zwar nicht namentlich, geleitete uns aber zu einem kleinen Tischchen direkt neben der Tanzfläche. Die Paare dort standen sich gegenüber, ohne sich zu berühren, als gingen sie einander nichts an; sie zuckten konvulsivisch, teils mit erhobenen oder ausgebreiteten Armen, und in ihren Augen stand die gleiche Leere und Selbstbezogenheit, die ich bei Donald jetzt entdeckte und die ich an Jenny bei ihrem Solotanz gestern nacht bemerkt hatte.
Warum hatte er mich hergebracht? Weil er Bescheid wußte? Weil er auf irgendeine Weise von Jenny und den Ereignissen erfahren hatte? Aber woher?
Unvermittelt und ohne Höhepunkt brach das infernalische, pulsierende Dröhnen ab. Die Stille kam wie ein Schock, wenn auch nicht ganz
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