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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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herbeigewünscht, dass er eine Sekunde lang wieder erschienen war?
    Wach auf, Jane. Du hast dich täuschen lassen.
    Ich nahm einen Zwanzig-Dollar-Schein aus meiner Handtasche und legte ihn auf die Bar. Dann ging ich hinaus und zu Fuß nach Hause.
    Ich wusste, ich hatte Michael gesehen. Aber wichtiger war die Frage: Warum hatte ich ihn bisher nicht vergessen können?

SIEBENUNDZWANZIG
    A lso gut, dann zu besseren und bedeutenderen Themen. Wenn ich in der Stadt war, arbeitete ich immer am Sonntagmorgen in einem Frauenhaus auf der East 119th Street in Spanish Harlem. Nichts Besonderes, es gab keine Medaillen dafür, aber ich konnte wenigstens ein bisschen helfen, und es gab mir einen anderen Blick auf mein Leben. Nach sechs Stunden im Frauenhaus war ich selig, wenn ich nach Hause kam. Es hatte etwas von einem Kirchgang, nur besser – weil ich etwas Sinnvolleres tat.
    Also schaufelte ich Rühreier und Bohnen auf Pappteller, teilte harte Brötchen und Margarinevierecke aus, schenkte Orangensaft in Plastikbecher. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass diese Menschen gleich einen vollen Magen haben würden – zumindest eine Zeit lang.
    Â»Könnten Sie meinem Sohn noch etwas von den Eiern geben?«, fragte eine Mutter mit einem fünf- oder sechsjährigen Jungen. »Ginge das?«
    Â»Natürlich«, antwortete ich. Ich gab noch eine Portion Eier aus und legte ein hartes Brötchen darauf.
    Â»Sag der Dame danke, Kwame.«
    Â»Danke.«
    Â»Schaffst du das denn auch alles, Kwame?«, neckte ich den Jungen.

    Er nickte schüchtern, während seine Mutter flüsterte: »Ehrlich gesagt, isst er jetzt nur ein bisschen davon.« Sie zog ein Stück alte Alufolie aus ihrer Einkaufstasche. »Den Rest gibt’s zum Mittagessen.«
    Weitere Hungrige kamen, denen ich Eier austeilte und das Gefühl geben wollte, willkommen zu sein. »Schön, Sie zu sehen. Kommen Sie ruhig wieder«, ermutigte ich sie.
    Eine alte, gutherzige Italienerin aus der Gemeinde St. Rose schenkte neben mir Orangensaft und Milch aus. »Schauen Sie mal da drüben«, flüsterte sie und deutete mit dem Ellbogen in die Mitte der Reihe. »Sie ist selbst noch ein Mädchen.«
    Ich erblickte eine spindeldürre Frau, höchstens achtzehn Jahre alt, mit einem Baby in einem abgewetzten Tragetuch. Ein Junge hing an ihrem dünnen Bein. Was sie wirklich von den anderen abhob, waren ihre schwarzen Augen und ein schmutziger Verband um ihren schlaffen rechten Arm.
    Wenn ich so etwas sah – dass jemand damit durchkam, einem anderen Menschen derart wehzutun -, verkrampfte sich mein Magen.
    Â»Setzen Sie sich«, forderte ich sie auf, als sie an der Reihe war. »Ich werde Ihnen und den Kindern das Essen bringen.«
    Â»Nein, das schaffe ich schon.«
    Â»Ich weiß, dass Sie das schaffen. Lassen Sie mich trotzdem helfen. Das ist meine Arbeit.«
    Ich griff zu einem Plastiktablett, auf das ich die Teller mit Eiern und Brötchen stellte, dazu zwei Plastikbecher und eine volle Tüte Orangensaft. Auch drei Bananen holte
ich aus der Küche, wo die Nonnen frisches Obst für besondere Gelegenheiten oder Notfälle aufbewahrten.
    Â»Hey, danke«, sagte das Mädchen leise, als ich an ihren Tisch trat und die Teller abstellte. »Sie sind eine nette weiße Frau.«
    Hm, ich versuch’s zumindest.

ACHTUNDZWANZIG
    S chließlich wanderte der Rest der Rühreier auf den Pappteller einer zahnlosen älteren Dame, die Plastiktüten über ihre Hände und Schuhe gezogen hatte. »Den Tag kriegst du auch noch rum«, wiederholte sie ständig. Es war erschreckend, wie sehr ich mich mit diesem Satz identifizieren konnte.
    Kurz vor Mittag trat ich hinaus in die noch kühle Frühlingsluft von Spanish Harlem in New York. Meine Arme taten weh, und ich hatte Kopfschmerzen, doch es hatte etwas Elementares und Gutes, Essen an hungrige Menschen auszuteilen. Überall um mich herum erblickte ich nur schöne Dinge, alles schien voller Leben und viel versprechend zu sein, was mir nach dem Debakel des vorangegangenen Abends wie ein Wunder vorkam.
    Auf den Stufen zur Kirche standen fünf kleine, wie Minibräute gekleidete Mädchen, die auf ihre Erstkommunion warteten. In der Nähe tranken ernst blickende Männer cerveza und spielten Domino auf Holzkisten. Ich atmete tief ein. Der Geruch von frittierten churros, Maiskolben und Chili hing in der Luft.
    Ich überquerte

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