Sophie Scholl
es viele »Befriedigend« – neben Englisch, Geschichte, Religion, Physik und Erdkunde erstaunlicherweise auch in Musik; »gut« lautete das Urteil in Deutsch und Französisch.
Am 24. März war Ostern. Lisa Remppis kam, und für zwei Tage fuhren die beiden Freundinnen mit dem Rad bei warmem Frühlingswetter bis nach Zwiefalten. In Obermarchtal wanderten sie im Dunkeln an der Donau entlang; aßen fürstlich in der ländlichen Schlosswirtschaft – »2 Spiegeleier je, Wurst und Butter, alles ohne Marken und um wenig Geld« – und tranken »vor dem Bettgehen noch einen Glühwein, die Stammgäste alle sahen uns schmunzelnd zu«. Am 2. April kehrte Lisa Remppis zurück nach Leonberg, und Sophie Scholl musste im Steuerbüro des Vaters, in dem ihre Schwester Inge inzwischen fest angestellt war, aushelfen. Im Frühjahr, wenn die Jahresabschlüsse anstanden, wurde über Wochen bis in die Nacht gearbeitet, und die Familie nahm Robert Scholls gereizte Stimmung hin wie die Jahreszeiten.
Am 8. April 1940 begann ein neuer Lebensabschnitt für Sophie Scholl. Sie fuhr erstmals mit dem Fahrrad nach Ulm-Söflingen zum Evangelischen Fröbel-Seminar, um ihre einjährige Ausbildung zur Kindergärtnerin anzutreten. Am Tag darauf hofft sie inständig auf einen Brief von Fritz Hartnagel: »Ich freue mich immer so sehr darauf … Gelt, Du schreibst mir bald wieder … ich hab so ein Bedürfnis danach.« Gegen Ende ihres Briefes heißt es: »Hat’s bei Euch schon Blumen? Morgen will ich mir ein Primelsträußchen verehren lassen. Primeln wachsen so viel im Söflinger Pfarrgarten.« Fritz Hartnagel wusste, wer sich im Pfarrhaus und Pfarrgarten von Söflingen bestens auskannte; der »Verehrer« war inzwischen ein häufiger Gast in der Wohnung der Scholls am Münsterplatz. Sein Einfluss auf Sophie Scholl und ihre Geschwister kann gar nicht überschätzt werden.
NEUE BEZIEHUNGEN FÜRS LEBEN
Von Otl Aicher, Ernst Reden und der Lebenskraft der Bücher
Am 29. Oktober 1939 schilderte Sophie Scholl in ihrem Brief an Fritz Hartnagel, was am Sonntag zu Hause los war. Zuerst wurden Schubert-Lieder gesungen, und später »haben wir zusammen aus den Dramen Henry von Heiselers gelesen, Erika und Ottl Aicher waren dabei. Ich bin froh, dass Werner mit Ottl mehr verkehrt als mit den übrigen Tanzstundenherren seiner Klasse. Ottl ist Werner ziemlich überlegen, außerordentlich eigenartig und schweigsam (eine sympathische Eigenschaft). Er kommt oft zu uns.« Otto Aicher, der sich Otl nennt, schreibt in seiner Autobiografie »innenleben«: »ein jahr bevor der krieg begann, kam ich zum ersten mal in die wohnung der scholls, im vierten stock eines jugendstil-geschäftshauses am münsterplatz. Es war ein verregneter sonntagnachmittag, und man las ein theaterstück von henry heiseler …«
Keine Frage, dass auch Otl Aichers Bericht über seinen ersten Besuch bei den Scholls – wie die Erwähnung bei Sophie Scholl – in den Herbst 1939 verweist. Die eindrucksvolle Wohnung am Münsterplatz ist ein festes Erinnerungsindiz, die Zeitangabe – ein Jahr vor dem Krieg, also 1938 – dagegen ein Irrtum, denn der Umzug der Scholl-Familie von der Olgastraße zum Münsterplatz fand erst im Juni 1939 statt. Die spätere Datierung kennzeichnet den langsamen Annäherungsprozess, der zu einem ungewöhnlichen – im Rückblick darf man wohl sagen historischen – Freundschaftsbund führte. Otl Aicher und Werner Scholl gingen in die gleiche Klasse der Oberrealschule und hatten sich Anfang 1937 angefreundet. Das war möglich, weil Werner Scholl im Gegensatz zu Inge, Hans, Liesl und Sophie Scholl zwangsweise in die Hitler-Jugend eingetreten war und sich dort in keiner Weise engagierte. Denn für alle, die sich mit den Nationalsozialisten einließen, gar Ämter bezogen und so die braune Herrschaft stützten, hatte Otl Aicher nur Hass übrig. Als Inge und Werner Scholl im November und Hans Scholl im Dezember 1937 verhaftet wurden, war das ein Pluspunkt in den Augen von Otl Aicher. Aber bevor er überzeugt war, dass die älteren Scholl-Kinder dem braunen Götzen abgeschworen hatten, musste Zeit vergehen.
Mehrere Faktoren waren zusammengekommen, die ihn immun machten gegen die nationalsozialistische Ideologie. Otl Aicher stilisierte sich in seiner 1985 erschienenen Autobiografie zum »Einzelgänger«: »ich ging immer mit mir zusammen. wir waren immer zu zweit. … das sprechen mit sich selbst überbrückt nicht nur das alleinsein. ich glaube, besser als das denken hilft es,
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